Das Zauberer Handbuch
alle junge Buddys an ihrer Seite, und der kleine Short Round aus INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES ist eine Hommage an all diese jungen Helfer.
Aus dem Repertoire der Fantasy-Charaktere bieten sich deshalb all jene Figuren an, die entweder über eine gewisse Kindlichkeit verfügen oder zumindest ihrem Gemüt nach (und das ist nicht abwertend gemeint) etwas Kindliches an sich haben – Halblinge, Zwerge, einfältige Riesen und so weiter. Überzeichnet man das kindliche Element oder stattet den Charakter mit drolligen Eigenheiten aus, so erhält man eine Figur, die den Helden nicht nur unterstützt, sondern beim Leser auch für Schmunzeln sorgt und gerade in besonders spannenden Passagen ein wenig Dampf aus dem Kessel nehmen kann – im Film spricht man hier von Comedy-Relief -Figuren. Der schon vorher erwähnte Samweis gehört in diese Kategorie, ebenso wie Karl Mays Hadschi Halef, der kleine Kobold Mux aus LAND DER MYTHEN oder die berühmten STAR WARS-Droiden R2 D2 und C-3PO. Unter Berufung auf Campbell spricht Vogler in diesem Zusammenhang von »Trickser«-Figuren, die uns das Geschehen für einen Augenblick aus einer anderen, humorigen Perspektive sehen lassen. Vor allem in den Indianermythen Nordamerikas kommt dieser Archetyp sehr häufig vor, dort auch oft in der Rolle des Helden.
Wie Lehrer können auch Helfer die Funktion des Herolds übernehmen, wenn sie dem Helden zusätzliches Wissen oder weitere Motivation verschaffen – in HARRY POTTER beispielsweise wimmelt es von solchen Figuren, denn oftmals bekommt Harry nützliche Informationen nicht von seinem Mentor Dumbledore, sondern von seinen Gefährten Ron und Hermine oder von anderen Schülern aus Hogwarts, die kurzzeitig als Helfer auftreten. Und genau wie Lehrer können auch Helfer als Katalysatoren auftreten, die beim Helden eine (wie auch immer geartete) Veränderung bewirken, während sie selbst unverändert bleiben.
Der Formwandler
Der Form- oder Gestaltwandler, wie Vogler ihn nennt, ist seinem Wesen nach ambivalent – nach D&D-Regularien würde man ihn als »chaotisch« bezeichnen. Wenn der Held ihm begegnet, so ist nicht absehbar, ob er Verbündeter oder Widersacher ist, Helfer oder Gegner. Der Formwandler trägt beide Seiten in sich, die gute und die schlechte, und verfolgt nicht selten seine ganz eigenen Pläne. Der Chamäleonid Jago aus den SPLITTERWELTEN ist (kombiniert mit Comedy-Relief -Elementen) solch ein formwandelnder Geselle, der mal als Helfer und mal als Gegner auftritt, ebenso wie der kaiserliche Agent Aenigma, der das Rätsel um seine Motivation schon im Namen trägt. Häufig klärt sich die Zugehörigkeit zunächst ambivalent agierender Figuren im Lauf der Handlung, sodass sie entweder zu Helfern werden oder sich als Gegner zu erkennen geben.
In der Phantastik haben wir es aber immer wieder auch mit Figuren zu tun, deren Ambivalenz sich nicht nur in ihren Handlungen ausdrückt, sondern Grundlage ihres Wesens ist und deshalb entweder gar nicht oder nur durch den Tod der Figur beendet werden kann. Das berühmteste Beispiel sind natürlich Robert Louis Stevensons unsterbliche Figuren Dr. Jekyll und Mr. Hyde, aber auch Vampire, Untote, Werwölfe, Nachtelfen und Wechselbälger gehören in diese Kategorie zur Doppelexistenz verurteilter Kreaturen, die oft erst im Tod ihre endgültige Erlösung finden. Sie alle sind Kinder zweier Welten, zwischen denen sie hin- und hergerissen sind, und spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass auch der Held einer Geschichte Merkmale eines Formwandlers haben kann.
Obwohl James Camerons erfolgreicher Streifen AVATAR überwiegend aus der Sicht des Helden erzählt wird, wissen wir eine ganze Zeit lang nicht, ob Jake noch immer für den verbrecherischen Colonel Quaritch arbeitet oder ob er sich in Wahrheit längst den Na’vi angeschlossen hat. Und in Camerons offenkundigem Vorbild, dem Western DER MIT DEM WOLF TANZT, erlebt die Figur des John Dunbar einen ganz ähnlichen Konflikt, wenn er sich zwischen seiner vermeintlich zivilisierten Welt und der naturverbundenen Existenz der Indianer zerrissen fühlt. Während wir bei Helden jedoch davon ausgehen können, dass sie am Ende die moralisch richtige Entscheidung treffen und damit das in Unordnung geratene Gleichgewicht wiederherstellen werden, können wir bei Formwandlern, die als Nebenfiguren auftreten, niemals sicher sein, denn ihre innere Zerrissenheit sorgt dafür, dass sie sich außerhalb der Moral des Helden bewegen und nach ihrer
Weitere Kostenlose Bücher