Das Zauberer Handbuch
nur dramaturgische, sondern auch Wesensmerkmale enthält, während die Rolle des Herolds allein durch ihre Funktion (nämlich Wissensvermittlung für den Helden und daraus resultierende Motivation) gekennzeichnet ist. Wenn man diese Bezeichnungen allerdings liest, stellen sich fast zwangsläufig Assoziationen zu einem anderen Phänomen ein, das ebenfalls mit Archetypen arbeitet und das es so eigentlich nur im phantastischen Genre gibt: zum Rollenspiel.
Schon kurz nachdem sich die Fantasy als eigenständiges Genre auf dem Buchmarkt etabliert hatte, erschienen auch die ersten Rollenspiele ( Role Playing Games , kurz RPG), die es möglich machten, an den Abenteuern der Fantasy-Helden nicht nur teilzuhaben, sondern sie selbst zu erleben. Den Anfang machten RPGs mit noch vergleichsweise einfachen Regelwerken, die man nach den beiden einzigen Gegenständen, die dazu benötigt wurden, Pen and Paper nannte – der Rest des Spiels fand und findet in der Phantasie der Spielteilnehmer statt, was ein weiterer Ausdruck für die ungeheure Kreativität ist, die unter Genrefans schlummert. Für einen ersten großen Boom sorgte in den USA das Spiel DUNGEONS AND DRAGONS (kurz D&D), das Mitte der 80er-Jahre auch in deutscher Übersetzung erschien, hierzulande jedoch schon bald durch DAS SCHWARZE AUGE Konkurrenz erhielt. Beide Rollenspiel-Systeme bestehen bis heute und können inzwischen auf eine Unzahl von Spiel- und Quellenbüchern blicken.
Überhaupt schwelgen die RPGs heutiger Tage, ebenso wie die beliebten Table Tops , in Ausstattungsorgien, von denen man damals nur träumen konnte, von den technischen Voraussetzungen einer globalen Vernetzung, die eine virtuelle WORLD OF WARCRAFT (kurz WoW) ermöglicht, ganz zu schweigen. Geblieben ist jedoch das »andere« Spielkonzept, in dem es nicht wie bei »Mensch ärgere dich nicht« oder »Monopoly« darum geht, zu gewinnen und den Gegner möglichst blass aussehen zu lassen, sondern gemeinsame Strategien zu entwickeln, um die vom Spielmeister gestellten Aufgaben zu bewältigen. Das dauert – natürlich – viel länger und erfordert weitaus komplexere Regeln, als bei einem herkömmlichen Würfelspiel; die Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben, sind allerdings so interessant und vielfältig, dass die aus der Fantasy-Literatur hervorgegangenen RPGs wiederum Rückwirkung auf die literarische Fantasy-Szene hatten. Nicht nur, dass sich aus RPGs entstandene Buchreihen wie SHADOWRUN, der D&D-Ableger DRAGONLANCE oder eben WoW großer Beliebtheit erfreuen – es ist sicher auch kein Zufall, dass viele namhafte Autoren (auch deutsche) ihre Ursprünge in der Spielszene haben. Wer als Spielmeister tätig war, ist daran gewöhnt, fremde Welten und Schauplätze zu ersinnen und Plots zu schmieden, innerhalb derer andere ihre Abenteuer erleben können.
Wer in ein RPG-Abenteuer einsteigt, schlüpft in die Rolle einer Figur, die den Spielregeln gemäß zusammengesetzt wird und nicht nur äußerliche Merkmale aufweist, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse (Mensch, Elf, Zwerg etc.) und Profession (Krieger, Waldläufer, Heiler etc.), sondern, wie im richtigen Leben, auch charakterliche. Bringt man diese »Archetypen« der Fantasy in Verbindung zu den durch Campbell/Vogler definierten mythischen bzw. dramaturgischen Archetypen, ergeben sich interessante Schnittmengen, die wie ein Fundus für jedes neu entstehende Werk anmuten, zumindest aber zeigen, wie Figuren in Fantasy-Romanen funktionieren bzw. welche Aufgabe ihnen in der Geschichte zukommt.
Demnach würde ich folgende fünf Grundtypen unterscheiden, die euch bei der Auswahl und Festlegung eurer Figuren behilflich sein können:
Der Held
Held bzw. Heldin sind die zentrale Identifikationsfigur für den Leser, folglich müssen ihre Motivationen klar definiert und nachvollziehbar sein. Der Held ist es, der sich auf das Abenteuer begibt, und gewöhnlich betrachten wir die Welt aus seiner Perspektive. Er ist es auch, über den die Struktur der Geschichte definiert wird: Der Roman beginnt mit dem Aufbruch des Helden, handelt von seinen Prüfungen und Bewährungen und endet mit seiner Rückkehr. Was die Besetzung dieser Rolle angeht, so ist man weitgehend frei in seiner Wahl. Ob es sich nun um einen Menschen handelt, einen Elfen, Zwerg, Halbling oder sonst ein Wesen – außer einem vierblättrigen tibetanischen Quallenbiber ist so ziemlich alles schon da gewesen und kann gut funktionieren, wenn die Figur und ihre Motivationen
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