Das Zauberer Handbuch
hatte, und schlüpfte in die hohen, wildledernen Stiefel. Der nächste Griff galt dem Waffengurt, an dem das Schwert befestigt war. Entschlossen gürtete Granock es um die Hüften. Als der Diener ihm Brünne und Helm reichen wollte, schüttelte Granock jedoch den Kopf. Beides würde ihm bei der Erforschung des Stollens nur hinderlich sein, lieber behielt er seinen Zauberstab in den Händen, der ihm zuverlässigeren Schutz gewährte als jede Rüstung. Mit einem Nicken in Richtung des Dieners trat Granock aus dem Halbdunkel nach draußen …
Dass sich das eine interessanter liest als das andere, ist übrigens nicht erst den Menschen des Medienzeitalters aufgefallen – schon der berühmte Dichter Homer (so es ihn denn gegeben hat) beschreibt in seiner ILIAS, wie sich ein Krieger Stück für Stück ankleidet und schildert auf diese Weise seine Ausrüstung in allen Einzelheiten.
Was das individuelle Aussehen von Figuren betrifft, so gibt es zumindest bei menschlichen (oder menschenähnlichen) Protagonisten einen Trick, den viele Autoren anwenden – nämlich die einzelnen Rollen des Romans in einer Art geistigem Casting mit tatsächlich existierenden Menschen zu besetzen. Manche greifen auch auf bekannte Schauspieler zurück. Von Cornelia Funke weiß man, dass sie die Rolle des Mo in ihrer TINTENHERZ-Trilogie im Geiste mit Brendon Fraser besetzt hat, der ihn dann in der Verfilmung auch tatsächlich gespielt hat. Auch bei HARRY POTTER wird behauptet, dass J.K. Rowling nicht wenige der Darsteller, die bei den Verfilmungen zum Einsatz kamen, auch schon bei der »Besetzung« ihres Romans im Kopf hatte. Der Vorteil bei dieser Methode ist, dass die Figuren eine Plastizität gewinnen, die sich aus der Phantasie allein nur schwer simulieren lässt – aber natürlich müssen es keine Schauspieler sein, und es kommt auch nicht auf die Berühmtheit an. Wenn der Postbote etwas von einem König hat, der Automechaniker an einen Troll erinnert oder der schon einmal erwähnte Pizzabäcker gut in eine mittelalterliche Taverne passen würde, dann schickt sie dorthin – und das ist ganz nebenbei bemerkt auch noch eine prima Gelegenheit, um sich hin und wieder einen kleinen Spaß oder eine humorige Revanche zu erlauben. Die Dunkelziffer rücksichtsloser Verkehrsteilnehmer, erbarmungsloser Parkwächter und unfreundlicher Beamten, die ohne ihr Wissen zu Orks oder Gnomen wurden, soll außerordentlich hoch sein.
Denken und Handeln
Auch die abstrakten Eigenschaften von Figuren, seien es nun Helden oder Schurken, teilt man am besten durch Aktion mit. In SPLITTERWELTEN hätte ich lange und ausführlich behaupten können, dass ein Panthermann namens Croy trotz aller Düsternis ein gerechtigkeitsliebender Charakter sei – ich habe es vorgezogen, dies einfach zu zeigen, indem ich ihn für einen Sklaven Partei ergreifen ließ. Und wenn ich schlicht behauptet hätte, dass Gildemeisterin Harona weder Gnade noch Erbarmen kenne, wäre das eine Sache gewesen – sie ohne erkennbare Regung der Verbrennung eines ihrer Gefangenen beiwohnen zu lassen, ist noch viel effektiver.
Indem wir die Figuren handeln lassen, zeigen wir dem Leser, aus welchem Holz sie geschnitzt sind und teilen ihm so indirekt ihre Charaktereigenschaften mit. Wie schon erwähnt, genießen wir im Roman den Vorteil, den Leser auch ins Innere unserer Figuren blicken lassen zu können, wobei sich nach meinen Beobachtungen Bosheit sehr viel interessanter und ausführlicher in langen Gedankengängen darstellen lässt als Rechtschaffenheit – vielleicht ja deshalb, weil wir aufgrund gemeinsamer moralischer Werte ziemlich genau wissen, was richtig ist und was falsch, wohingegen die Gedanken unserer Schurken erst genau erklärt werden müssen. Wie man Gedankengänge für den Leser erfahrbar machen kann, damit befassen wir uns im nächsten Buch, wenn es um die Mitteilsamkeit der Figuren geht und wir uns mit Monologen und Dialogen beschäftigen.
Vergessen wir aber nicht, dass die Eigenschaften einer Figur, die sich in ihrem Handeln und Denken manifestieren, niemals nur eindimensional sein sollten. So wie eine Figur mehrere der archetypischen Eigenschaften auf sich vereinen kann, können natürlich auch ihre Handlungen und Denkweisen sich durchaus zu einem gewissen Grad widersprechen. Damit meine ich nicht, dass sich die zentrale Motivation der Figuren beständig ändern sollte, sondern dass es durchaus Dinge wie Ängste, Zweifel, Zögern etc. geben darf, die den Zielen einer
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