Das Zauberer Handbuch
impression – man kriegt keine zweite Möglichkeit, um einen ersten Eindruck zu hinterlassen. Das gilt für das wirkliche Leben natürlich ebenso wie für die Figuren eines Romans. Der Zeitpunkt, in dem sie zum ersten Mal auftreten – ganz gleich, ob es sich nun um Helden oder Schurken handelt –, ist daher ein besonders kritischer und sollte wohlbedacht und geplant werden.
Es muss nicht immer ein spektakulärer Auftritt sein – manchmal kann schon eine ganz kleine Szene reichen, um einer Figur einen guten Start im Roman zu verschaffen. In DAS BUCH VON ASCALON habe ich mich beispielsweise entschieden, den jungen Angelsachsen Conn, einen der Hauptcharaktere des Romans, zunächst im Rahmen einer öffentlichen Hinrichtung auftauchen zu lassen, wo er den Scharfrichter zu bestehlen versucht. Erstens ist die Szene dazu da, den Leser in die Zeit einzuführen und klarzumachen, dass ein Menschenleben in jenen Tagen nicht sehr viel wert war; zweitens wird Conn darin vorgestellt, und der Leser lernt ihn als einen bodenständigen, vor allem im Hier und Jetzt verhafteten Charakter kennen; und drittens erfahren wir, welche schreckliche Strafe einen Dieb ereilen kann, denn auch Conn ist schließlich ein Dieb.
Es geht natürlich auch anders. Im ersten Band der SPLITTERWELTEN bekommt der Pantheride Croy den wohl größten Auftritt, den ein Held haben kann, indem er einer anderen Hauptfigur das Leben rettet. Welcher Natur der erste Auftritt sein soll, hängt von der Geschichte ab, die wir erzählen wollen, aber natürlich auch von der Art des Charakters. Eine Figur, die wir als eigenbrötlerisch und verschwiegen kennzeichnen wollen, mit einer großen Dialogszene einzuführen, passt nicht ins Bild, ganz egal, als wie wortkarg wir sie nachher noch schildern werden. Überhaupt ist es wichtig, dass das, was wir unseren Figuren an Eigenschaften mitgeben, mit dem übereinstimmt, was wir sie tun und sagen lassen, andernfalls wird eine solche Figur entweder wenig überzeugend wirken oder, im noch schlimmeren Fall, die ganze Romanhandlung in einem wenig plausiblen Licht erscheinen lassen.
Überlegt also immer gut, mit welchen Eigenschaften ihr eure Figuren ausstatten und wie ihr sie in die Handlung einführen wollt, denn einen ersten Eindruck kann man tatsächlich nur ein einziges Mal hinterlassen. Das bedeutet nicht, dass sich eure Figuren nicht entwickeln oder im Lauf der Handlung ändern dürfen, ja, sogar sollen, aber selbst, wenn aus einem Saulus ein Paulus wird, muss der Saulus dem Leser zunächst plausibel vorgestellt werden. Im Film ist man auf diese Stimmigkeit zwischen erstem Auftritt und Wesen einer Figur besonders angewiesen, da man gar nicht die Zeit hat, eventuell vom Publikum missverstandene Eigenschaften des Helden zu korrigieren. Seht euch mal die entfallenen Szenen an, die vielen DVDs als Extras beigepackt sind – oftmals wurden sie rausgeschnitten, weil sie zu Missverständnissen im Bezug auf die Einstellung oder Motivation der Hauptfiguren geführt hätten.
Beim Film wird deshalb versucht, die Figuren nicht nur durch Sprache, sondern mit allen Mitteln filmischen Erzählens, von der Bildkomposition über das Licht bis hin zur Musik, zu charakterisieren: Wenn wir Luke Skywalker zum ersten Mal begegnen, ist er ein naiver Farmerjunge, der seinen Onkel zum Roboterkauf begleitet, während im Hintergrund noch ganz verhalten das STAR WARS-Thema zu hören ist; Indiana Jones gibt seine erste Visitenkarte ab, indem er seine Peitsche benutzt, um einen Schurken zu entwaffnen; und Will Munny, der Antiheld aus Clint Eastwoods oscarprämiertem Spätwestern ERBARMUNGSLOS, wälzt sich mit den Schweinen im Dreck. So unterschiedlich all diese Szenen sind – sie sagen viel über die Protagonisten aus.
Auch wenn wir kein Drehbuch schreiben, können wir von dieser Art des Erzählens viel lernen: Versuchen wir, mit dem, was wir schreiben, nicht nur den Intellekt des Lesers anzusprechen, sondern auch seine Sinne – und achten wir darauf, dass die Informationen, die wir über unsere Hauptfiguren geben, nicht nur, aber vor allem bei ihrem ersten Auftritt durch und durch stimmig sind.
Figurenzeichnung
Ganz gleich ob im Film oder im Roman – welche Faktoren sind es, die eine Figur in den Augen des Lesers charakterisieren? Ich würde sagen, es sind drei:
a) sein Aussehen
b) seine Vergangenheit
c) sein Denken und Handeln
Was den letzten Punkt betrifft, so genießen wir gegenüber den Kollegen vom Film natürlich den immensen
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