Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Golondrinas, Andalusien, Sommer 1549
Deo gratias , an diesem Tag der Geburt Salomés erlaubt mir meine Hand, ein wenig zu schreiben. Sie wäre jetzt fast fünfundvierzig Jahre alt, eine alte Frau. Doch Gott hat Mädchen gesandt, die die Leere in meinem Herzen ausfüllen – erst Esperanza, dann Luz und nun P í a. Sie ist eine ungewöhnliche Erscheinung, mit silbrigem Haar, hell wie das Mondlicht im Sommer, zarte blasse Haut, klare blaue Augen und feine Gesichtszüge. Sie ist vierzehn und gertenschlank, und wenngleich ihre monatlichen Zyklen gerade erst begonnen haben, bekommt sie bereits die Figur einer Frau. Die beeindruckende Sor Sof í a, die solchen Mut beweist, wenn sie sich über die Klausurregel hinwegsetzt, um Angelegenheiten des Klosters zu erledigen, und die so schlagfertig ist, wenn jemand ihr Erscheinen misstrauisch hinterfragt, hat ihre Rettung bewirkt.
P í a ist sehr beherrscht und bei jemandem, der so jung ist wie sie, wirkt ihre eisige Ruhe unheimlich. Sie erzählte uns eine schreckliche Geschichte, in einer flachen Stimme ohne jedes Gefühl:
Meine Mutter starb, als ich zehn Jahre alt war. Sie war sehr schön und wir lebten in einem feinen Haus mit weichen Betten und seidenen Vorhängen und genug zu essen – lauter Dinge, über die ich nicht nachgedacht habe, bis ich sie nicht mehr hatte. Ich habe das Haar meiner Mutter geerbt, auf dem ihr Vermögen beruhte. Blonde Frauen sind selten in einem Land voller dunkelhaariger Schönheiten. Meine Großmutter kam aus einem Land hoch oben im Norden, wo die Menschen blasse Haut und Haare wie Sonne und Mond haben. Sie war mit ihrem Mann auf einem Schiff unterwegs, als Piraten angriffen. Die Piraten töteten ihren Mann und nahmen meine Großmutter gefangen. Sie verkauften sie in den Harem eines der letzten muslimischen Händler in Sevilla, zu Beginn der Regentschaft der Reyes Cat ó licos . Doch die Mutter des Händlers fand heraus, dass meine Großmutter Christin war, wie sie selbst. Sie gehörte einer Sekte aus dem Norden an, die man Protestanten nannte. Die Mutter des Händlers hatte Mitleid mit meiner Großmutter, die gerade in den ersten Monaten schwanger war. Sie überredete ihren Sohn, seine Gefangene freizulassen, und so wurde meine Mutter unter ihrem Schutz geboren. Die Dame starb kurze Zeit später und hinterließ meiner Großmutter ein großzügiges Geldgeschenk, sodass sie sich und ihr Kind ernähren konnte.
Die feinen Gesichtszüge meiner Großmutter und ihr silbriges Haar machte viele Männer auf sie aufmerksam, doch die Ehe mit einer Außenseiterin, die weder Spanierin noch Katholikin war und für deren Familie sich niemand verbürgen konnte, stand außer Frage. Als Frau brauchte sie für die eigene Sicherheit und die ihres Kindes jedoch den Schutz, den nur ein wohlhabender Mann bieten konnte. Meine Großmutter kaufte ein Haus in Madrid und wurde eine Kurtisane.
Meine Mutter erbte ihre Schönheit, wie sie für den Norden so typisch war, und wurde im protestantischen Glauben erzogen, den meine Großmutter sich hartnäckig weigerte abzulegen. Als meine Mutter siebzehn Jahre alt war, nahm meine Großmutter für sie den Schutz eines gut aussehenden und charmanten jungen Grande an. Er war der einzige Sohn und Erbe einer Familie, die durch den Besitz von Silberminen in den amerikanischen Kolonien reich geworden war. Er versprach ihr ein feines Haus, schöne Kleider und Juwelen und Kutschen und Diener – alles, was sich eine schöne und eitle Frau nur wünschen konnte. Seine einzige Bedingung war, dass sie keine Kinder bekam. Seine Familie konnte keine Bastarde zulassen, die, so fürchteten sie, später Anspruch auf ihr Vermögen erheben würden. Meine Mutter sagte mir nur, dass sie über viele Jahre »dafür sorgte«, dass keine Kinder kamen, obwohl ein Schatten über ihr Gesicht flog, als sie es mir erzählte.
Sie wurde wieder schwanger und dieses Mal weigerte sie sich, »dafür zu sorgen«, in dem Glauben, dass mein Vater mich annehmen würde. Aber er tat es nicht. Er war sehr ärgerlich und ich durfte ihm nicht unter die Augen kommen. Dann kam die Nachricht, dass die Familie meines Vaters ruiniert war. Ihre Silberminen in den Kolonien hatte ein schreckliches Erdbeben zunichte gemacht, dadurch stürzte die Familie in Spanien in Schulden. In einem verzweifelten Versuch, sein Vermögen wiederherzustellen, begann mein Vater zu spielen und vergrößerte den Schuldenberg dadurch nur noch. Der Schmuck meiner Mutter wurde ebenso verkauft wie ihre
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