Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
begann zu toben, dass er ein junges Mädchen finden müsse, das man vielleicht hierher gebracht habe. Gleichzeitig wollte er sich nicht von seinem Esel trennen, der einen großen Korb auf dem Rücken trug. Zu ihrer Überraschung sah die Pförtnerin, dass er voller Pinsel und Farben und Leinwände war. Trotz seines wilden Aussehens klingt der Mann gebildet, er spricht wie ein Höfling, daher dachte sie, er sei vielleicht der Vater eines der Waisenmädchen und sei gekommen, um sie zurückzuholen. Die Pförtnerin handelte schließlich mit ihm aus, dass eine Beata ihn zur Äbtissin bringen würde, wenn er seinen Esel am Tor ließe.
Ich fragte ihn nach dem Namen des Mädchens und nach dem Grund, weshalb er es suche, aber –« Die Äbtissin hob die Augenbrauen und wies mit dem Kopf zum locutio . Ihre Miene zeigte mir, dass sie den Mann auf der anderen Seite für verrückt hielt. Und tatsächlich murmelte er etwas über den Kronprinzen Don Balthazar. Selbst bevor Marisol zu uns kam, hatten wir schon von seinen Anfällen und Wutausbrüchen gehört und auch von dem Gerücht, dass der König die Thronfolge geändert habe. Doch der Verrückte behauptete eindringlich, Don Balthazar sei auf Geheiß des Königs getötet worden und nun wollten sich einige Leute geschlossen hinter den Erben des Märtyrerprinzen stellen.
»Unmut gegen die Krone macht sich breit«, sagte der zerlumpte Mann. »Wo es Geheimnisse gibt, blühen die Gerüchte umso mehr. Die Unterstützer Don Balthazars sagen, er habe ein Kind gezeugt, ein Mädchen – und dieses Kind sei die rechtmäßige Erbin des spanischen Throns. Das Kind verschwand vor zwei Jahren … Der König hat befohlen, es zu finden.«
»Aber was habt Ihr mit diesem Kind zu tun?«, fragte die Äbtissin.
»Ich muss das Mädchen finden, bevor es die Behörden tun. Weil ich verantwortlich bin. Ich muss ihm die Wahrheit sagen und es um Verzeihung bitten«, antwortete er. Hinter dem locutio konnten wir nur seine wilden Augen sehen, als er das Gesicht an die Gitterstäbe presste. »Und sie warnen, dass sie in Gefahr ist.«
»Verzeihung?«
»Ich habe großes Unrecht getan, Äbtissin. Gott hat mich mit einem Talent gesegnet, doch ich habe es missbraucht. Ich liebte Frauen über alles und machte mir meine Gabe zunutze, ihre Portraits so zu malen, dass sie Verlangen entfachten. Ich hatte Erfolg, denn ein Portrait zu malen ist, wie sich der Liebe hinzugeben. Frauen zeigten sich mir, vertrauten sich mir an, ergaben sich mir. Schöne Frauen haben viele mögliche Abbilder, das Gesicht, das sie der Welt zeigen wollen, und normalerweise das Gesicht, das sie versteckt halten. Portraits, wie die Liebe, erfordern eine Öffnung des Selbst. Ich konnte Eitelkeit und Durchtriebenheit und Geiz erkennen und sie als Eleganz oder Lebensfreude darstellen. Ich wusste um ihre Gelüste, ihre Gier, und vor allem wusste ich, wer ein verborgenes Kind hatte, eine Schande, die niemals ans Licht kommen durfte. Denn jene waren in meiner Schuld. Ich half ihnen, diese Kinder zu verbergen. Und nahm dafür die Bezahlung, die ich wünschte.
Ich bekam den Auftrag, das Verlobungsbild eines sehr jungen Mädchens zu malen. Sie war schüchtern und bescheiden, unberührt von bösen oder berechnenden Gedanken. Anfangs wollte ich sie verführen, so wie die anderen, und am Ende war ich halb in sie verliebt und darauf bedacht, ihr keinen Schaden zuzufügen. Dennoch fühlte ich mich verpflichtet, sie als sinnlich und begehrenswert zu malen – ihr zukünftiger Ehemann war ein Mann von Welt, sehr mächtig und reich und selbst ein großer Liebhaber der Frauen. Ich wandte all die Tricks an, die ich in meiner Kunst beherrsche: Ich gab den Augen einen vielsagenden Ausdruck, malte volle Lippen, malte sie so, wie sie aussehen mochte – wenn sie eine andere Frau gewesen wäre. Der künftige Ehemann war hocherfreut und bezahlte mir das Zweifache der vereinbarten Summe.
Das Portrait wurde bei Hofe allgemein bewundert, doch auf den Kronprinzen hatte es die stärkste Wirkung. Als ich den Auftrag bekam, eine Kopie für die privaten Gemächer des Kronprinzen anzufertigen, war mir unbehaglich zumute, ich wagte aber nicht, mich einem königlichen Befehl zu widersetzen. Ich war erleichtert, als das Mädchen heiratete und nicht länger am Hofe, sondern auf dem Anwesen ihres Mannes lebte, mitsamt dem Portrait. Doch ich konnte ihr liebliches Gesicht und ihre vertauensvolle Miene nicht vergessen und begann zu bereuen, dass ich das Portrait so gemalt hatte,
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