Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Vaters zu kümmern, und sollen bald wieder abreisen. Bei der Äbtissin haben sie Geld zurückgelassen, von dem ein besonders üppiges Bankett bezahlt werden soll, wenn ihre Schwester die Profess ablegt.
Das Neue Jahr
Januar und Februar 1552
An vielen Winterabenden, wenn die Bergwinde heulen und wir uns mit unseren Nähkörben vor dem Feuer versammeln und flicken oder stopfen, unterhält uns Sor Serafina mit den Geschichten, die ihre Brüder von Spanischamerika erzählen. Sie beschreibt so lebhaft, dass wir, wenn wir in die Flammen sehen, die fliegenden Schlangen sehen, von denen sie berichtet, die Gärten voller Gold und Edelsteine, breite schlammige Flüsse, endlose grüne Wälder, bunt gefiederte Vögel und mittendrin die strahlenden neuen Städte, die die spanischen Siedler errichtet haben, mit breiten Straßen und Kirchen und prachtvollen Häusern und, weiter in der Ferne gelegen, Haziendas, die sich bis zum Horizont erstrecken, wo die Berge an die Wolken reichen. Für uns, die wir unser Kloster sicher nie verlassen werden, klingt es alles sehr aufregend.
Sor Serafina hat auch einen Vorrat an schockierenderen Geschichten über die Eingeborenen und ihre Sitte, viele Frauen zu nehmen, und über die spanischen Siedler, denen es an katholischen Spanierinnen mangelt, die sie heiraten könnten, und die sich daher Geliebte und Konkubinen unter den Frauen der Mestizen nahmen, die sehr schön sind, und über ihre Kinder, die ungetauft bleiben, wenn nicht die spanischen Nonnen oder Mönche etwas dagegen unternehmen. Sie behauptet, dass Bordelle blühen und Scheidungen an der Tagesordnung sind. Ich tadelte Sor Serafina wegen solch frivoler Reden und sie schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie, sie habe eine bessere Geschichte, diesmal eine Geschichte von Nonnen. Ich seufzte und nickte. Bei den Novizinnen war ich noch nie besonders streng.
Sie sagte, dass Francisco Pizarro und seine Konquistadors den Herrscher der Inkas gefangennahmen und hinrichteten und dass die Spanier danach plündernd und brandschatzend über das Gold und Silber und die Edelsteine der Eingeborenen herfielen und alles mitnahmen, was sie bekommen konnten. Wie trunken vor Reichtum entfernten sie sich immer weiter von der Küste, auf der Suche nach weiteren Schätzen. Schließlich gelangten sie im Schatten eines großen Berges zu einem Palast, der den sogenannten Jungfrauen der Sonne gehörte, einer Art heidnischer Nonnen, wie Sor Serafinas Brüder berichteten. Auch hier raubten die Spanier alles Gold und Silber und die Jungfrauen verschwanden. Sie wurden als Kriegsbeute verschleppt, um den Widerstand der Inkas auszuhöhlen, weil die Jungfrauen dort als heilig galten. Die Leute behaupteten jedoch, die Jungfrauen seien zu einer heiligen Festung in den Bergen geflohen, wo sie durch die Stollenöffnungen eines magischen Portals in das Land ihrer Götter gelangten.
Die Novizenmeisterin unterbrach die Erzählung und meinte, das sei nun genug von heidnischen Nonnen. Sor Serafina entgegnete, sie komme jetzt zu dem Teil über christliche Nonnen und über ein geheimnisvolles Rätsel. Das klang natürlich so aufregend, dass wir nicht widerstehen konnten, und so ließen wir unsere Näharbeiten sinken und hörten zu.
Ganz gewiss hat Gott uns Sor Serafina geschickt. Ihre nächsten Worte waren wie ein Sonnenstrahl in dunkler Winternacht!
Da der König und die Königin wünschten, die Eingeborenen mögen um ihres Seelenheils willen zum Christentum übertreten, reiste bald nach Pizarro ein spanischer Bischof mit einer Gruppe franziskanischer Mönche nach Spanischamerika. Er billigte die Zerstörung des Hauses der Jungfrauen der Sonne und ordnete an, dass der Ort heidnischen Kultes dadurch gereinigt werden solle, dass man aus den Steinen ein Kloster baute, mit einer prachtvollen Kapelle am Tor. Als der Bischof ins Landesinnere reiste, um es zu weihen, fand er zu seinem Erstaunen und Ärger einen Orden spanischer Nonnen vor, die bereits von Kloster und Kapelle Besitz ergriffen hatten, ohne sein Wissen und ohne seine Erlaubnis. Er hatte keine Ahnung, wie dies geschehen konnte, doch hinter seinem Rücken murmelte man, die Wege der Kirchenoberen seien unergründlich. Die einzig mögliche Erklärung war, dass die Nonnen an Bord eines Schiffes von Pizarros Flotte in einer verborgenen Luke nach Spanischamerika gelangt waren.
Pizarro widersprach diesem Gerücht nicht. Sor Serafinas Brüder meinten, wahrscheinlich habe er vermeiden wollen, wie ein Narr dazustehen. Er
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