Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
konnte weder lesen noch schreiben und falls es Dokumente gab, die Licht in dieses Dunkel hätten bringen können, so konnte er sie nicht lesen und war zu eitel, seine Unwissenheit zuzugeben. Auch der Bischof protestierte nicht, denn er wollte nicht den Anschein erwecken, nicht das Vertrauen der kirchlichen Behörden zu haben. Wenn jemand die Nonnen erwähnte, kniff er stumm die Lippen zusammen, und er starb schließlich, während er noch auf eine offizielle Erklärung wartete.
Sor Serafinas Brüder glaubten jedoch, dass sich die Anwesenheit der Nonnen auf andere Weise erklären ließ. In den Tavernen an der Küste erzählten alte Matrosen, dass maurische Seefahrer von Spanien aus das schreckliche Meer des Nebels und der Dunkelheit überquert hatten und von Stürmen in ein fremdes Land getrieben worden seien. Darüber konnte man nicht sprechen, weil die Inquisition möglicherweise davon erfuhr. Das katholische Spanien wollte, dass der Triumph der Entdeckung allein katholischen Seefahrern vorbehalten sei. Doch die Matrosen, die um die Unwägbarkeiten der Winde und der Strömungen wussten – die unvorhersehbaren, grausamen Stürme machten die Überfahrt in die Neue Welt gefährlich –, glaubten, dass so etwas jedem Schiff passieren konnte, das sich in den Atlantik verirrte. Obwohl Nonnen wohl kaum selbst die Segel gesetzt hätten … Es würde also auf immer ein Geheimnis bleiben!
Als Sor Serafina dies hörte, hatte sie gelacht und die Vermutungen ihrer Brüder einfallsreichen Unfug genannt. Ihre Brüder beteuerten jedoch, dass sie ihr das Beste noch gar nicht erzählt hätten. Wie es der Zufall wollte, hatte das Kloster, das anstelle des Palastes der Jungfrauen der Sonne errichtet worden war, schon bald große Schwalbenschwärme angezogen, genau wie das Kloster ihrer Schwester Sor Serafina. Zunächst hieß es einfach »das spanische Kloster« und der Nonnenorden wurde Sors Santas de Jes ú s de Los Andes genannt. Später jedoch bekam das Kloster wegen der Schwalben den Namen Las Golondrinas. Sor Serafina fügte gerade entschuldigend hinzu, dass es vielleicht alles nicht stimme, aber dennoch eine nette Geschichte sei, als ich mit einem Aufschrei aufsprang.
Der Nähkorb auf meinem Schoß fiel herunter und ich starrte Sor Serafina an, als hätte der Berg selbst gesprochen. Dann packte ich sie am Handgelenk und zerrte sie so hastig auf die Füße, dass auch ihr Nähkorb zu Boden polterte. Die anderen sahen mich erschrocken an. Es war nicht nötig, eine Novizin so heftig zur Ordnung zu rufen, auch nicht für eine derart lächerliche Geschichte. »Kommt mit, sofort«, befahl ich und begann, sie aus dem Raum zu ziehen.
Esperanza dachte wahrscheinlich, ich wollte Sor Serafina eine Ohrfeige geben, und rief: »Nein! Sor Beatriz, tut es nicht! Sor Serafina denkt sich das nicht aus. Ich habe auch schon davon gelesen …«
»Dann kommst du auch mit«, wies ich sie an und zerrte Sor Serafina mit mir. Sie brach in Tränen aus und beteuerte, sie habe nur wiedergegeben, was ihre Brüder ihr erzählt hatten, und habe sich nichts Böses dabei gedacht. Zu dritt gingen wir direkt zum Zimmer der Äbtissin. Die Äbtissin sah von ihrem Messbuch auf und runzelte die Stirn angesichts dieser stürmischen Unterbrechung.
»Sor Serafina, wiederholt die Geschichte, die ihr uns erzählt habt.«
Mit leiser, weinerlicher Stimme folgte Sor Serafina meiner Anweisung, während Esperanza nervös und ungeduldig abwartete. Die Äbtissin ließ die Novizin ihre Geschichte zwei weitere Male erzählen, dann versicherte sie ihr, dass sie nicht in Ungnade gefallen sei und entließ sie. Esperanza wollte sich ihr schon anschließen, doch ich befahl ihr barsch, sie solle bleiben.
»Nun erkläre uns, warum du meinst, dass Sor Serafina die Wahrheit sagt.«
Sor Serafina ist ein wenig töricht und leicht zu beeindrucken, im Gegensatz zu Esperanza, deren Erinnerung klar und präzise ist. Und nun sagte sie, dass der Historiker al-Mas’udi im zehnten Jahrhundert von maurischen Matrosen berichtet hatte, die über das Meer des Nebels und der Dunkelheit verschwunden waren. Jahre später tauchten sie wieder auf, mit Schätzen und Geschichten von einem fremden Land, in dem es Goldwiesen und Edelsteinminen gab.
»Und du hast dieses Buch gesehen?«
»Natürlich. In der Bibliothek meines Vaters«, antwortete Esperanza.
»Und daher kann es stimmen, wenn Sor Serafina von Konquistadors erzählt, die auf spanische Nonnen treffen, die bereits in Spanischamerika waren? Das
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