Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
zu ebnen. Sobald ein Mädchen sechzehn Jahre alt war, wurde es neu eingekleidet und mit einem überschwänglichen Empfehlungsschreiben in die Außenwelt entlassen, damit es vielleicht eine Stelle als Dienstmädchen fand.
Die Nonnen hatten viele Fragen – ob die potenziellen Adoptiveltern vertrauenswürdig waren, wie die Oberin sicherstellen wollte, dass Medaille und Chronik nicht verloren gingen, sobald sie das Kloster verlassen hatten. Die Oberin versprach, dass sie darauf bestehen würde, das Ehepaar kennenzulernen, bevor sie die Papiere unterschrieb. Und was die Medaille und die Chronik anging, so hatte die Oberin eine Idee. Die Nonnen murmelten vorsichtige Zustimmung, als sie sie erläuterte. Letzten Endes hing jedoch alles von den Adoptiveltern ab.
Während sie auf die Amerikaner wartete, war die Oberin schon fast zu dem Schluss gekommen, dass ihr Nichterscheinen ein Zeichen für Gottes Willen war. Offensichtlich sollten Isabelita, die Chronik und die Medaille trotz allem im Kloster bleiben. Doch da erschien Sor Rosario, verkündete, Se ñ or und Se ñ ora Walker seien eingetroffen, und führte die beiden herein.
Einer nach dem anderen ließen die Walkers ein nervöses » gracias « hören. Virgil Walker zog seinen Sprachführer aus der Tasche und setzte an, einen Satz in holprigem Spanisch zu konstruieren. Der Oberin gelang es, ein steifes Lächeln aufzusetzen, und sie sagte: »Bitte setzen Sie sich. Wir können Englisch sprechen.« Als junges Mädchen hatte sie Englisch gelernt; mittlerweile war es zwar etwas eingerostet, doch die Telefonate mit den Leuten von Christian Outreach waren eine gute Übung gewesen.
»Danke, Ma ’ am«, entgegnete Mr Walker erleichtert. »Wir haben versucht, ein bisschen Spanisch zu lernen, haben einen dieser Intensivkurse belegt, aber gerade in dem Moment, in dem wir es brauchen, fallen mir die einfachsten Wörter nicht ein.« Die Oberin lächelte wieder, diesmal weniger steif. Die beiden waren genauso nervös wie sie. Das machte ihr Mut – das und der Teddybär.
Sie warf einen Blick in die Akte des Ehepaares, die sie vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte, obwohl sie ihren Inhalt schon auswendig kannte. Sarah-Lynn und Virgil Walker, siebenunddreißig und vierzig Jahre alt, waren seit achtzehn Jahren verheiratet und hatten seitdem vergeblich auf Kindersegen gehofft. Es gab ein Empfehlungsschreiben des Pastors ihrer Gemeinde, der sie als ehrliche Leute und gute Christen beschrieb und hinzufügte, dass Mrs Walker Hausfrau sei, außerdem Mitglied des Gartenvereins und aktives Mitglied des Bibelkreises der Gemeinde. Ein weiterer Brief stammte von ihrem Kongressabgeordneten, der sie als Säulen der Gesellschaft pries. Außerdem war da noch ein Schreiben der Handelskammer von Laurel Run, Georgia, das bestätigte, dass Virgil Walker der Besitzer einer erfolgreichen Installationsfirma in der Stadt und ein aktives Mitglied des örtlichen Rotarierclubs war. Die Oberin hatte Laurel Run in dem Atlas gesucht, der zum Buchbestand des Klosters gehörte. Er stammte aus dem Jahr 1930 und zeigte mehrere Verwaltungsbezirke im Staat Georgia an. Schließlich fand sie Laurel Run, einen winzigen Punkt im Bezirk Bonner, östlich vom Bezirk Fulton gelegen, der einen wesentlich größeren Punkt mit der Aufschrift »Atlanta« aufwies. Die Oberin war sich sicher, dass sie von Atlanta schon einmal gehört hatte. »Ich hoffe, Sie hatten keine allzu großen Schwierigkeiten herzufinden?«
»Nein, Ma ’ am, danke. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung. Wir haben draußen ein paar Fotos gemacht. Kinder, die nach dem neuen Programm adoptiert werden, sollen ein Album haben, für später, mit Fotos und Erinnerungsstücken von den Ort, von dem sie stammen. Und wo wir gerade von Fotos sprechen: Sarah-Lynn hat Ihnen ein paar mitgebracht, auf denen Sie unser Haus sehen können und das Zimmer, das wir für unser kleines Mädchen eingerichtet haben.«
Sarah-Lynn Walker öffnete ihre große Lederhandtasche, die zu ihren Schuhen passte, zog einen Briefumschlag hervor und nahm einen Stapel Fotos heraus. »Das ist unser Zuhause«, sagte sie und legte das erste Bild auf den Schreibtisch der Oberin. »Es ist eine sogenannte Ranch im Kolonialstil, gerade neu gebaut, als wir sie vor acht Jahren gekauft haben«, fügte sie hinzu. Das weiße Haus aus Ziegeln und Holz hatte eine Veranda mit Säulen und war von Rasen und Blumenbeeten umgeben. Es war wie ein kleiner Palast, ganz sauber und neu. »Die Hausarbeit
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