Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
täglich aufgefahrenen Bankette mit goldenem Essgeschirr zu verzichten. Sie bestand darauf, dass wir wie die Bauern Maisbrei mit Gemüse und Früchten zu uns nehmen würden. Der goldene und silberne Zierrat und die kostbaren Teller und Becher verschwanden und stattdessen aßen wir aus einfachen tönernen Schalen. Die wunderschönen Wandbehänge behielten wir jedoch, weil sie halfen, die Räume warmzuhalten. Wir machten uns neue Wimpel aus schlichten Stoffen, die die Einheimischen herstellten, und flickten unsere Habite. Unsere Tage verliefen geordnet und absichtsvoll.
Unsere Vorliebe für eine einfache Lebensweise fand Zustimmung. Der nächste Schritt war, durch unsere Dienerinnen die Auffassung zu verbreiten, unsere Jungfrauen sollten Gott nicht dadurch dienen, dass sie Stoffe webten, sondern Unterricht gaben, den Kranken halfen und den Armen, Waisen und Krüppeln zur Seite standen, Arzneien und Heilmittel mischten und Mädchen darin unterwiesen, andere Menschen zu unterstützen. Wie wir verstanden, wurde unser ungewöhnliches Verhalten als Jungfrauen geduldet, weil der Sonnengott uns gewisse Freiheiten einräumte, die er einheimischen Jungfrauen nicht gewährte.
Dies ermutigte uns, den nächsten Schritt zu tun, den wir für notwendig hielten, wenn wir nicht gegen unseren Willen eingesperrt bleiben wollten. Wir ließen die Frau des Anführers wissen, dass es üblich sei, unsere Jungfrauen unter die Menschen gehen zu lassen, weil Gott uns schützte und die Blicke eines Mannes keinen Schaden anrichten konnten. Wir baten sie, bei den Priestern für uns zu sprechen. Nach einiger Zeit bekamen wir die Nachricht, dass wir bisher unsere Tugend unter Beweis gestellt hätten und daher unsere Bräuche respektiert würden, auch wenn sie den Inkas fremd seien. Nach und nach wagten wir, das Gebäude vorsichtig zu verlassen.
Einen unserer Räume richteten wir als Kapelle ein. Wir schmückten ihn mit den schönsten Wandbehängen aus dem ganzen Haus, stellten einen gemeißelten Steinblock aus dem Garten als Altar auf und hängten ein Kruzifix auf. Eine herrliche Schale aus gehämmertem Silber, die Einheimische gefertigt hatten, wurde unser Weihwasserbecken. Als Kerzen benutzten wir die Fackeln, wie sie die Leute hier verwenden. Sor María Manuela nahm wie eine Äbtissin die Beichte ab. Die Einheimischen nannten sie mamakuna , welches die Bezeichnung für die Novizinnenmeisterin ihrer Jungfrauen ist. Wir beschlossen, dass sie im Jahre des Herrn 1526 ganz förmlich als die erste Oberin der Heiligen Schwestern Jesu im Land der vier Teile geweiht werden sollte. Es war der erste Gottesdienst, den wir in unserer kleinen Kapelle abhielten, und die Damen des Königshauses, zu denen auch die Frau und die Töchter des Anführers gehörten, wurden dazu eingeladen.
Mit ihren prunkvollen Roben mit Schleppe und mit ihrem Schmuck und ihren Federn waren die Inka-Damen wie für einen wichtigen zeremoniellen Anlass gekleidet. Sie betrachteten alles aufmerksam und hörten genau zu, offenkundig erfreut zu sehen, dass unsere Jungfrauen auch Zeremonien hatten. Wir trugen neue Habite und sangen die Psalmen und Hymnen und sprachen die Gebete der Weihe. Unseren Besucherinnen schien der Chorgesang zu gefallen, obwohl es sie verwunderte, dass wir keine Instrumente hatten und nicht tanzten, wie es bei ihren Ritualen üblich ist. Als der Augenblick kam, Sor María Manuela zu weihen, versammelten wir uns alle um sie und legten ihr nacheinander die Hände auf den Kopf. Nun ist sie offiziell unsere Oberin.
Danach zogen sich die Königin und die anderen Damen zurück, an unserem einfachen Festmahl nahmen sie nicht teil. Wir alle waren jedoch sehr zufrieden, weil wir unsere Anwesenheit an diesem Ort mit einem offiziellen Schritt gefestigt hatten. Zwei Räume hatten wir als Hospital hergerichtet und bald kamen die Fälle zu uns, die die Geduld oder das Wissen der örtlichen Ärzte überstiegen. Meist waren es missgestaltete Kinder oder Kinder von schwachem Verstand, ein paar Lahme und mehrere kinderlose ältere Witwen. In einem Land, indem alle für das Wohl der anderen zu sorgen hatten, trafen unsere Bemühungen auf Zustimmung.
Dennoch gingen wir vorsichtig vor und maßen unsere Worte und Taten an der geordneten Art und Weise, wie die Dinge hier geregelt wurden, bevor die Spanier kamen. Die Lebensweise der Menschen erinnerte uns an die Bienen, die die Nonnen in Spanien hielten, mit ihren Arbeiterinnen und der Bienenkönigin. Bauern beackerten ihre Felder für
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