Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
überall nach ihr gesucht und immer, wenn er in die Stadt reist, fragt er im Kloster nach, ob sie Nachricht von ihr haben. Bis jetzt hat niemand von ihr gehört. Er bringt auch Nachricht von Pía, doch auch das ist nicht erfreulicher. Sie verlässt ihre Zelle nicht, betet Tag und Nacht, geißelt ihr Fleisch und isst und trinkt fast nichts, nur ein wenig Brot und Obst. Unser Jüngster, José, wächst und gedeiht; ich erwarte unser drittes Kind und bin elend und krank.
Auf der Hazienda der Sonne und des Mondes, April 1561
Isabelita wurde nach Weihnachten geboren, viel früher als wir erwartet hatten. Es war eine lange und schwierige Geburt. Isabelita geht es nicht gut, sie gedeiht nicht so, wie wir es bei unseren anderen Kindern gesehen haben. Sie ist apathisch und schwach und weint nur selten. Sie sieht mich mit großen leidenden Augen an. Ich liebe sie umso mehr, so klein und so süß wie sie ist, doch meine Liebe hilft ihr nicht. Ich trage sie ständig im Arm und versuche, sie dazu zu bewegen, ein wenig zu trinken. Es bricht mir das Herz, ihr trauriges kleines Weinen zu hören und zu sehen, wie sich ihre kleinen Hände öffnen und schließen, so als stecke all ihre Lebenskraft in diesen winzigen Fingerchen, die sich an das Leben klammern. Ich halte sie ganz dicht an meinem Herzen, als könnte sein Schlagen sie am Leben erhalten. Don Miguel ist gealtert, sein Haar ist weiß. Salomé sagt, er ähnelt seinem Vater immer mehr. Salomé selbst ist krank, sie ist hager geworden und hat Schmerzen, doch sie versucht, sie zu verbergen. Ich tue für sie, was ich kann, doch sie kann kaum essen oder trinken oder aufstehen.
Solange ich die Tränen zurückhalten kann, werden Isabelita und Salomé leben.
Und nun kommt zu allem hinzu, dass ich die Hazienda verlassen muss. Ich habe eine Nachricht aus dem Kloster bekommen, dass Pía im Sterben liegt und mich gebeten hat zu kommen. Sie schreiben, dass sie eine Krankheit hat, die sie von innen auffrisst, dass sie schrecklich leidet, ohne je zu klagen. Salomé besteht darauf, dass ich fahre. Ich fürchte, die Reise wird Isabelita umbringen, doch ich wage nicht, sie bei einem Kindermädchen zu lassen. Was, wenn ich sie nie wiedersähe?
KAPITEL 32
Aus der Chronik der Sors Santas de Jes ú s, aus der Feder von Doña Esperanza Aguilar, im Missionskloster Las Golondrinas de Los Andes, April 1561
Ein Wunder ist geschehen. Ich möchte diese Worte immer und immer wieder schreiben. Ein Wunder.
Als wir im Kloster ankamen, führte mich eine Novizin zu Pías Zelle. Ich trug Isabelita bei mir – ich halte sie immer eng an mich gedrückt, damit der Tod sie meinen Armen nicht entreißen kann. Ich hatte vergessen, wie eng und dunkel Pías Zelle ist, nur mit einem schmalen vergitterten Fenster. Es war Vormittag, doch auf beiden Seiten ihres Bettes brannten Kerzen. Pías Gesicht war so weiß wie das Laken, das sie bedeckte, und ihr Rosenkranz war um ihre Finger geschlungen. Einen Moment lang dachte ich, sie sei bereits gestorben, doch dann bedeutete sie den Nonnen, die auf beiden Seiten des Bettes beteten, uns allein zu lassen. An ihren Augen konnte ich sehen, dass sie mich erkannte.
Ich beugte mich zu ihr hinunter und küsste sie und sie betrachtete Isabelita, die in meinen Armen lag, apathisch wie immer. »Oh Pía«, sagte ich. Ich konnte die Tränen nicht mehr aufhalten.
Pía streckte die Hand aus und berührte meine tränennasse Wange. Dann entwand sie mit Mühe den Rosenkranz von den dürren Fingern ihrer rechten Hand. Mit dem Rosenkranz verflochten war eine goldene Kette und am Ende der Kette hing die Medaille der Äbtissin!
»Du hast sie der Oberin abgenommen, an dem Tag, als du … Zarita … Oh, Pía, hast du sie seitdem bei dir gehabt?«
»Die Oberin wünscht, dass ich sie um den Hals trage, wenn ich begraben werde«, flüsterte Pía. »Aber es gibt eine bessere Verwendung für diese Kette.« Ein Hauch ihres alten heiteren, weltfernen Lächelns huschte über ihr Gesicht. Mit schwachen Fingern streifte sie die Kette über Isabelitas Kopf und sagte: »Ein Geschenk für dich, Kleines.«
Isabelitas Augen öffneten sich mühsam, dann wandte sie den Kopf und betrachtete Pía neugierig. Pía lächelte sie an und beide hielten den Blick der anderen für einen langen Moment gefangen. Und dann … tat mein Baby etwas, das mich zutiefst erschreckte. Isabelita krümmte den Rücken und trat heftig mit ihren kleinen Füßen. Sie wedelte mit den Armen, warf den Kopf zurück und begann zu
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