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Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)

Titel: Das Zeichen der Schwalbe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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Sanchia/La Flor sei immer schon ruhelos gewesen. Mit »zu Hause« meinte sie Spanien, wohin sie mit einem der Schiffe ihres Mannes reisen wird.
    Um nicht wegen liederlicher Moral ins Gefängnis geworfen zu werden, heiratete La Flor einen ihrer Verehrer, einen Witwer und wohlhabenden Kaufmann namens Váez Sobremonte, der ein paar Jahre später starb. Er war einer der »Neuen Christen«, denen man mit so viel Misstrauen begegnet, ein Jude also. Man sagt, dass es jenseits von Mexiko-Stadt ganze Siedlungen dieser Neuen Christen gibt, die heimlich ihre Religion praktizieren. Dort ließen sich die Sobremontes nieder. Meine Mutter schrieb Sanchia, dass wir sie mit großem Vergnügen willkommen heißen würden, dass sie die Chronik seit vielen Jahren nicht mehr aufgeschlagen habe und wie gut es sein würde, gemeinsam darin zu lesen.
    Dann wollte sie mir die Chronik zeigen, von der Sanchia in ihrem Brief schrieb, und ging zu einer silberbeschlagenen Ledertruhe in ihrem Zimmer. Ich hatte noch nie gesehen, wie sie sie öffnete, doch sie tat es nun und hob den einzigen Gegenstand heraus, der darin war: ein Seidenbeutel, der in einer Hülle aus rauherer Wolle eingeschlagen war. Er enthielt dieses Buch und eine Medaille an einer langen Kette, die in ein sehr altes und wunderschön gesticktes Taschentuch gewickelt war. Sie nahm die Medaille heraus und hielt sich das Taschentuch an die Wange. »Luz«, flüsterte sie. Dann streifte sie mir die Medaille über den Kopf.
    »Isabelita, du warst Pías Wunder«, sagte sie zu mir. »Und als Salomé starb, verlor ich so vieles aus den Augen. Ich war so sehr damit beschäftigt, sie zu pflegen und mich um euch Kinder zu kümmern, im Kloster zu helfen … Es passierte so viel auf einmal, dass ich eines Tages sogar fürchtete, ich hätte die Medaille verloren. Ich stellte alles auf den Kopf und als ich sie schließlich fand, legte ich sie zur sicheren Aufbewahrung zu der Chronik.«
    Das überraschte mich nicht. In diesem Haus verschwanden ständig Dinge, tauchten wieder auf und verschwanden wieder. Meine Mutter, Esperanza, hatte neun überlebende Kinder und das Haus war immer zum Bersten voll mit Babys, Cousinen und Cousins, Kindermädchen, Tieren, Dienstboten und zahllosen Besuchern und ihren Kindern. Meine Mutter nahm es mit unserer Schulbildung sehr genau und weigerte sich, uns Hauslehrern zu überlassen, sondern unterrichtete uns selbst. So hatte sie wenig Zeit für die Angelegenheiten des Haushalts und ich kann gut verstehen, dass sie etwas, das sie aufbewahren wollte, sicher verstaute.
    Meine Mutter tippte mit dem Finger gegen die Medaille und sagte: »Die sollte eigentlich in den Besitz des Klosters übergehen und ich überreichte sie der Oberin kurz nach unserer Ankunft aus Spanien. Doch dann nahm Pía sie an sich und gab sie dir und sagte, du sollest sie behalten. Wer weiß, vielleicht rettet sie eines Tages ein weiteres Kind.« Dann saßen wir in dem alten Schulzimmer und sie las noch einmal die wohlbekannten Geschichten. Die von meiner Urgroßmutter in Spanien, der Schreiberin, die diese Aufzeichnungen begann, ihren eigenen Bericht über die Reise nach Spanischamerika, die Geschichte meiner Großmutter Salomé.
    Als meine Mutter so Seite um Seite umblätterte, wurde sie nachdenklich. »Ich habe meine Pflicht vernachlässigt. Ich habe das Versprechen nicht eingelöst, das ich der Äbtissin des Klosters in Spanien gegeben habe. Ich muss es tun, bevor es zu spät ist.« Sie reichte mir die Chronik und nahm mir das Versprechen ab, dafür zu sorgen, dass Sanchia sie der Oberin des Klosters Las Golondrinas de Los Andes gibt. Ich wandte ein, dass sie es Sanchia selbst auftragen könne, doch sie schüttelte den Kopf.
    Ich glaube, sie hatte eine Vorahnung. Einen Monat, bevor Sanchia kam, starb meine Mutter im Schlaf. Sanchia verbrachte die ersten Stunden ihres Besuchs an ihrem Grab. Sie kehrte mit roten Augen zurück und ließ mich die Teile der Chronik vorlesen, die von den vier Mädchen erzählten. Dann bestand sie darauf, dass ich dieses letzte Kapitel schrieb, bevor sie sie dem Kloster bringt, wie meine Mutter es gewünschthatte.
    Die alte Freundin meiner Mutter hat sich als tröstende Ablenkung für meinen Mann, Teo Jesús Beltrán, und meinen trauernden Vater erwiesen. Sanchia hat nun nichts mehr von einer Verführerin an sich, sie ist einfach eine alte Frau, die unablässig von der Vergangenheit erzählt, über die Enkel ihres Mannes, die Wohltätigkeiten, die sie unterstützt, und was

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