Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
einen Arzt, wahrscheinlich sollte sie Antibiotika nehmen … Also war sie jetzt für die Nonnen verantwortlich? Menina ließ sich gegen die Wand sacken und rieb sich die Schläfen. Sie bekam Kopfschmerzen.
Die ganze Zeit über horchte sie und wartete, dass etwas passierte, aber alles blieb still. In der Küche fand sie einen Apfel zum Frühstück. Almira würde ihn nicht essen können, nicht mit ihren kaputten Zähnen. Unruhig ging sie durch die Korridore auf und ab, während sie ihn aß. Dann holte sie sich aus dem Refektorium das letzte Stück altbackenes Brot. Sollten die Hühner doch nach Würmern suchen. Sie war so nervös, dass sie beschloss, sich weitere Bilder anzusehen.
Im Besuchsraum mit seinem locutio zog sie den schweren teppichartigen Vorhang von dem zerbrochenen Fenster weg und sah sich um. An der Wand, an der das Portrait des Mädchens hing, das ins Kloster ging, befand sich ein weiteres Portrait, das eine gut gekleidete Frau mittleren Alters zeigte und noch eines von einem Mann mit einem schwarzen Umhang um die Schultern und einer Kippah auf dem Kopf. Er trug eine Kette mit einem Edelstein um den Hals. Die Bilder hingen über der Truhe, an der sie sich an ihrem ersten Tag im Kloster gestoßen hatte.
Unter dem Bild mit der Frau war ein angelaufenes Metallschild angebracht. Menina hauchte es an und rieb mit ihrem Ärmel darüber, bis sie den Namen »Doña María Isabela Beltrán« und irgendetwas über eine Schule erkennen konnte. Das Portrait war ein Geschenk von … Doña Sanchia de Sobremonte. Wie das Bild der angehenden Nonne hatte auch der Malstil dieses Bildes etwas Primitives an sich und trotzdem war es eine fesselnde Darstellung. Die Dame hatte ein lebhaftes Gesicht mit ausdrucksstarken dunklen Augen und unter einer Mantilla aus schwarzer Spitze quoll eine braune Haarpracht hervor, die an den Schläfen grau zu werden begann. Es sah aus, als wäre das Haar am Morgen ordentlich frisiert worden und hätte sich im Laufe des Tages aus den Kämmen gelöst, die es zurückhielten. Die Frau trug viele Armbänder, hatte Perlen um den Hals und an ihrem Ohr baumelte ein Diamantohrring. Ihr hochgeschlossenes züchtiges Kleid war schwarz mit einer Schaumkrone aus weißer Spitze an den Rändern. In der Hand hielt sie ein zartes weißes Taschentuch, ein Buch und eine Reitgerte, und etwas an ihrer Haltung vermittelte den Eindruck, als hätte sie nur kurz innegehalten und dem Maler den Kopf zugewandt. Das Portrait einer reichen und viel beschäftigten Frau, die sich hastig, wenn auch aufwendig zurechtgemacht hatte und ungeduldig darauf wartete, dass sie sich wieder ihren Erledigungen zuwenden konnte.
Menina rieb an dem Schildchen unter dem Mann mit der Kippah. »Váez Sobremonte, Geschenk seiner Witwe.« Wer waren all diese Leute und warum waren ihre Portraits hier im Kloster?
»Aha! Hier sind Sie, wie ich dachte«, unterbrach Sor Teresa ihre Gedanken.
Menina wandte sich zu ihr um und bat: »Sor Teresa, es wäre so hilfreich, wenn Sie wüssten, wo die Inventarliste der Bilder sein könnte.«
»Ist natürlich irgendwo … Viele Dinge im Kloster sind irgendwo.«
»Ganz sicher. Aber gibt es vielleicht ein Büro oder so etwas?«
Sor Teresas Antwort ging in Donnergrollen unter und Menina sah, dass es dunkel geworden war. »Ist Sturm«, sagte Sor Teresa. »Großer Sturm in den Bergen.« Auf einen weiteren Donnerschlag folgte ein greller Blitz und Menina wusste, dass sie besser zu Almira zurückging, die sicher in Panik ausbrechen würde, wenn sie feststellte, dass Menina weg war – und Menina wollte Almiras Anwesenheit nicht erklären müssen, falls die Nonnen sie möglicherweise durch die Flure geistern sahen. Sie war froh, das Sor Teresa nicht sehen konnte, wie sie sich zwei halb heruntergebrannte Kerzen und eine Handvoll Streichhölzer nahm.
Als sie in dem Gang ankam, in dem ihre Zimmer lagen, fand sie Almira weinend und nahezu hysterisch auf- und abgehen.
»Alles in Ordnung«, sagte Menina tröstend. Almira umklammerte ihre Hand und sagte immer wieder etwas, das Menina jedoch nicht verstehen konnte. »Mach dir keine Sorgen«, meinte Menina und legte ihr den Arm um die bebenden Schultern. »Alles wird gut. Wir müssen noch ein bisschen warten. Die Polizei wird sie schnappen und dann musst du keine Angst mehr haben.« Hoffte sie jedenfalls.
Das Mittagessen bestand aus Brot und wässriger Linsensuppe. Menina gab Almira die Hälfte ab und schob sich ihren Anteil am Brot in die Tasche. Für später –
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