Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
alten Häusern. Eine ganze Reihe der Mitglieder aus Theos Studentenverbindung sind verheiratet und viele von ihnen leben in diesem Viertel. Sie laden sich reihum zum Essen zu sich nach Hause ein. Mama sammelt schon Rezepte für alle möglichen Gerichte, damit wir gerüstet sind, wenn wir dran sind.«
Menina erwähnte nicht, dass ihr Pauline bei dem gemeinsamen Mittagessen ein ganz anderes Bild von ihrem und Theos Eheleben präsentiert hatte. Ihre anfängliche Bestürzung wich bald gereiztem Staunen, als Pauline ihr unmissverständlich klarmachte, dass Theo sein Image als zukünftiger Politiker aufbauen wollte. Als Mrs Theo Bonner III. würde Menina Frauenvereinigungen wie der Junior League beitreten, ehrenamtlich arbeiten und an Mittagessen zugunsten diverser Wohltätigkeitsorganisationen teilnehmen, um Kontakte zu den Ehefrauen prominenter Geschäftsmänner zu knüpfen, die viel Geld in politische Kampagnen steckten. Für Becky wäre das, was Pauline gesagt hatte, wie ein rotes Tuch, daher beschloss Menina, ihr besser nichts davon zu erzählen. Sie würde sich einfach überlegen müssen, wie sie an ihren eigenen Plänen festhalten konnte, ohne ihre künftige Schwiegermutter vor den Kopf zu stoßen.
Menina seufzte und zerstieß die Eiswürfel in ihrem Glas. »Das Schwierigste an der Abschlussarbeit war das Thema, aber wenigstens das habe ich mittlerweile. Als sie vor ein paar Monaten die Bibliothek in Holly Hill ausgemistet haben, gab mir die Bibliothekarin ein altes Buch, das niemand haben wollte. Und darin fand ich mein Thema. Es ist ein Privatdruck aus dem Jahr 1900 und enthält Portraits eines Künstlers namens Trist á n Mendoza. Er hat sie in Spanien im sechzehnten Jahrhundert gemalt. Alle Portraits zeigen Frauen in hochgeschlossenen Kleidern, bis zu den Ohren zugeknöpft, keine tiefen Ausschnitte oder so etwas, nicht wie bei diesen englischen Portraits königlicher Mätressen, die dir ihre Brüste förmlich entgegenstrecken. Diese Damen haben Rosenkränze und Gebetbücher in der Hand, aber wenn du sie dir ansiehst, sehen sie auf einmal anders aus – also, irgendwie glutvoll und lockend, so wie die mit den Brüsten. Das ist regelrecht pornografisch, es ist schwer zu erklären. Keiner meiner Lehrer hat jemals von Tristán Mendoza gehört, aber sie haben gesehen, was ich meinte, und sagten, am spanischen Hof hätten damals ziemlich strenge Sitten geherrscht. Die Christen hatten gerade die Mauren besiegt und die Mauren waren in vielen Dingen puritanisch, also mussten die Christen noch puritanischer sein, um ihre Überlegenheit zu beweisen. Aber weißt du, was am interessantesten ist?«
»Ich höre«, seufzte Becky.
»Ich habe mir die Drucke mit einer Lupe genauer angesehen und Tristán Mendoza hat unter seiner Signatur einen Vogel gemalt! Eine kleine Schwalbe, die genauso aussieht wie die Schwalbe auf meiner Medaille!«
»Warum?«
»Das habe ich mich auch gefragt und soweit ich es herausfinden konnte, scheint es auch sonst niemand zu wissen. Wenn die Schwalbe Tristán Mendoza etwas bedeutet hat, dann hat sie meinen leiblichen Eltern vielleicht auch etwas bedeutet. Ich muss einfach mehr darüber erfahren. Mein Dad sagt, dass sie wahrscheinlich Katholiken waren und glaubten, dass die Medaille Zauberkräfte oder so etwas hat.« Menina stiegen Tränen in die Augen, wie immer, wenn sie an ihre leiblichen Eltern und ihre Hoffnung dachte, die Medaille würde ihr das Leben retten. Wie sehr wünschte sie sich, dass sie den wunderbaren Mann kennenlernen könnten, den sie bald heiraten würde, oder dass sie sie in ihrem Brautkleid sehen würden. Sie schob den Gedanken beiseite und wischte sich rasch die Tränen weg. »Und stell dir vor: Der Prado ist das einzige Museum, in dem es Werke von Tristán Mendoza zu sehen gibt, also muss ich tatsächlich nach Madrid fahren und in den Prado gehen! Und mein Stipendium kommt sogar für meine Reisekosten auf. Wahrscheinlich sollte ich auch das alte Buch in den Prado mitnehmen, das die Nonnen mir gegeben haben. Es ist ganz schön alt und hier liegt es nur in einer Schublade in meinem Zimmer herum. Im Museum gibt es ganz bestimmt eine Handschriftenabteilung und wenn es keine geben sollte, werden sie mir sagen können, wo ich eine finde.«
»Madrid!« Becky lehnte sich vor und die beiden klatschten sich ab. »Grandios! Ich hoffe, du findest heraus, was du wissen willst. So, es wird dunkel, ich gehe jetzt besser. Ich erwarte einen Anruf von einem Typen, er wollte sich wegen eines
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