Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
zog die Vorhänge auf und holte ihr ein Glas Wasser aus dem Badezimmer. »Du kannst weglaufen, aber du kannst dich nicht verstecken, Kind des Lichts. Trink das und erzähl mir, was los ist.«
Menina setzte sich auf und Becky unterdrückte einen entsetzten Aufschrei. Sie sah schrecklich aus – ihr Haar war struppig, sie hatte tiefe Schatten unter den Augen und einen gehetzten Gesichtsausdruck, den Becky noch nie an ihr gesehen hatte. Sie wich zurück, als Becky sie in den Arm nahm, sagte aber nicht, was los war, außer dass sie und Theo nicht heiraten würden.
»Oh, Menina! Ist das Theos Idee?«
»Nein.«
»Ist es eine andere Frau?«
»Nein.«
»Seine Mutter? Sie ist eine herrische Ziege.«
»Nein, es hat nichts mit ihr zu tun.«
»Nun, ähm … Ist er schwul? Manchmal merken die Männer selbst das überhaupt nicht –«
»Nein«, erwiderte Menina mit versteinerter Miene. »Reden wir nicht darüber.«
»Bist du schwanger? Ehrlich, das ist heutzutage keine große Sache …«
Menina stöhnte und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. » NEIN ! «
»Hat er dir … Hat er dich irgendwie angesteckt?« Beckys Magen krampfte sich angstvoll zusammen. Menina war doch nicht etwa HIV-positiv ? Sie war das einzige Mädchen, das sich an die mütterliche Weisung hielt, mit dem Sex bis nach der Hochzeit zu warten. Es war vollkommen unmöglich , dass sie sich angesteckt hatte. Unter ihrem Kissen vergraben schüttelte Menina mit dem Kopf. »Hat er dich geschlagen? Es ist mir vollkommen egal, wer er ist – wenn er dich geschlagen hat, gehen wir zur Polizei und lassen ihn festnehmen.«
»Keine Polizei! Vergiss es, Becky. Fahr wieder ins College. Ich will nicht mehr reden, ich bin müde.« Menina rollte sich mit angezogenen Knien auf dem Bett zusammen, zog sich die Decke über den Kopf und versank in Schweigen. Leise verließ Becky das Zimmer und schloss die Tür.
Im Flur kam ihr Sarah-Lynn mit einem Teller entgegen, auf dem sie ein Sandwich mit Hühnchenfleisch und Salat angerichtet hatte, wie Menina es besonders gern mochte. »Sie will gar nicht mehr essen«, flüsterte sie Becky zu. »Seit zwei Tagen schon hat sie keinen Bissen mehr angerührt. Und nächste Woche ist eine Brautparty und ein großes festliches Mittagessen und dann müssen ja auch all die Einladungen noch adressiert werden. Meinst du, es ist nur die übliche Nervosität vor der Hochzeit?«
Becky sagte vorsichtig: »Vielleicht. Mrs Walker, geben Sie mir das Sandwich.« Mit dem Teller in der Hand marschierte sie zurück in Meninas Zimmer. Sie zog ihrer Freundin die Decke vom Kopf und sagte entschieden: »Was immer auch passiert ist, du brauchst unbedingt Abstand von Theo und deiner Mutter und diesem ganzen Hochzeitsgetue, damit du dir in Ruhe ein paar Dinge überlegen kannst. Dein Stipendium gibt dir die Möglichkeit zu reisen und genau das wirst du tun.«
»Was? Ich will nirgendwo hinreisen. Ich …«
»Oh, doch, das willst du.« Becky reichte ihr ein Papiertaschentuch. »Du willst nach Spanien fahren und du wirst nach Spanien fahren. Nächsten Samstag …«
Menina setzte sich langsam auf. » Was? «, fragte sie noch einmal, als hätte sie nicht richtig gehört. Dann brach sie plötzlich wieder in Tränen aus. Becky versuchte, nicht zu zeigen, wie beunruhigend sie dieses Verhalten fand. Stattdessen sagte sie energisch: »Okay, wir schließen einen Handel ab. Irgendein hohes Tier von der Uni, eine Professorin für Kunst, organisiert eine dreiwöchige Reise nach Madrid. Am nächsten Wochenende geht ’ s los. Eigentlich war sie für Studenten der Kunstgeschichte gedacht, aber es sind noch ein paar Plätze frei und die überzähligen Tickets werden in der Unizeitung zum Verkauf angeboten. Der Flug und die Unterkunft sind im Preis inbegriffen, irgendeine Jugendherberge oder so was ähnliches. Sie machen diesen ganzen Kulturkram – Museen, Kathedralen, genau das, was du unter Spaß verstehst. Und, ja, du fährst mit! Du wolltest doch sowieso in den Prado, also, hier ist deine Chance.«
»Oh, Becky, das geht nicht … das Kofferpacken und meine Eltern … du weißt schon … sie würden sich Sorgen machen.« Menina wedelte vage mit der Hand.
»Ja, klar, wenn du am helllichten Tag in einem abgedunkelten Zimmer sitzt und dir die Augen aus dem Kopf weinst, ist das natürlich viel besser – das macht ihnen nicht die geringsten Sorgen. Wenn du noch ein paar Tage so weitermachst, schleppen sie dich in die nächste Irrenanstalt und lassen dich mit Medikamenten
Weitere Kostenlose Bücher