Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Sie, das ist unwichtig, das interessiert Sie alles gar nicht. Darf ich bitte Ihr Telefon benutzen und meine Eltern anrufen? Selbstverständlich als R-Gespräch, aber sie werden sich Sorgen machen und mein Vater kann mir telegrafisch Geld überweisen und –«
Hauptmann Fern á ndez Gal á n war ganz still geworden und starrte an die Decke. »Ein alter Künstler?«, fragte er, als sei es das Seltsamste, das er je gehört hatte.
»J-J-Ja!«, stammelte sie.
»Hmmm.« Offenbar versuchte er, sich eine weitere sarkastische Bemerkung zurechtzulegen. Was für ein fürchterlicher Mann! Es war ein langer und anstrengender Tag gewesen und Menina fühlte sich plötzlich sehr müde und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie suchte in ihrer Hosentasche nach einem Taschentuch, doch die Taschentücher waren in ihrer Handtasche. Und die war weg. Weg! Alles war weg! Sie war eine Idiotin, sie hatte alles versemmelt und sie hatte Angst und, mein Gott, was sollte sie bloß machen? Plötzlich rannen ihr die Tränen über die Wangen. Wie ein Kind wischte sie sie mit dem Ärmel weg.
Sie spürte eine leichte Berührung auf dem Arm. »Bitte.« Sie hob den Kopf und sah den Hauptmann, der ihr ein weißes baumwollenes Taschentuch anbot. Es sah sogar sauber aus. Vorsichtig nahm sie es und murmelte: »Danke.« Sie wischte sich die Augen trocken und putzte sich die Nase und der Hauptmann kam ihr nicht mehr gar so verärgert vor. Er wirkte eher resigniert. »Tristán Mendoza, wie? War wann? Was hat er gemalt?«
»Oh –« Sie schniefte. »Wahrscheinlich Mitte bis Ende des sechzehnten Jahrhunderts.« Sie schniefte noch einmal. Wollte der Mann plötzlich eine Lektion in Kunstgeschichte? »Portraits. Meistens Frauen. Aber es könnte auch sein, dass er –«
»Und Sie haben wirklich alte Gemälde studiert?«
»Nun, nicht alle , die jemals gemalt wurden«, konnte sich Menina nicht verkneifen. »Ja, am College.«
»Okay, das ist etwas anderes. Dann können wir nur eins tun.«
»Ich weiß. Lassen Sie mich telefonieren, bitte! «
Der Hauptmann schüttelte den Kopf, breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Arme aus und zuckte mit den Schultern. »Leider muss ich Ihnen sagen, dass Sie niemanden anrufen können. Ich habe ein Handy, aber das nutzt hier oben nichts, wir haben kein Netz. Und im Dorf gibt es ein paar Telefone, aber die Leitung ist kaputt – das passiert in Spanien ziemlich oft, vor allem in den Bergen. Nun ist Semana Santa und so lange ist an eine Reparatur nicht zu denken. Kein Internet, keine E-Mails, kein Telefon. Glauben Sie mir, das ist im Moment ein großes Problem für mich.«
»Okay, können Sie mich bitte irgendwo hinbringen, wo es ein funktionierendes Telefon gibt? Und ein Hotel? Dann sind Sie mich los.«
In ihrer Hosentasche war immer noch die Karte, die Professor Lennox ihr gegeben hatte. Dem Himmel sei Dank. Sie würde Professor Lennox anrufen und sie bitten, ihr aus diesem Schlamassel herauszuhelfen.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, aber ich kann das Dorf im Moment nicht verlassen. Erst nach Ostern. Also müssen Sie leider solange hierbleiben.«
Und damit tauchte ein ganz neues Problem auf. Die Semana Santa hatte gerade erst begonnen. Also würde eine ganze Woche vergehen, bis sie ihre Eltern erreichen und ihnen sagen konnte, dass alles in Ordnung war. Sie würden sich schreckliche Sorgen machen. Und wo sollte sie unterkommen?
Offenbar konnte er Gedanken lesen. »Gibt einen Ort, wo Sie wohnen können, aber ich muss Sie selbst hinbringen.«
»Ich kann ein Hotelzimmer bezahlen, wenn mein Vater mir Geld schickt«, sagte sie in dem Versuch, zumindest ansatzweise die Zügel wieder in die Hand zu nehmen.
Hauptmann Fern á ndez Gal á n schüttelte den Kopf und stand auf. Inzwischen wirkte er fast ein wenig belustigt. »Keine telegrafischen Leitungen hier. Und auch kein Hotel. Aber Sie brauchen kein Geld, wo ich Sie hinbringe.«
Das klang beunruhigender als alles, was er bisher gesagt hatte. Doch Menina hatte die Wahl zwischen dem Polizisten und den Männern auf dem Platz. Sie beugte sich vor, um ihren schweren Rucksack zu schultern, nur um festzustellen, dass der Hauptmann ihn schon gegriffen hatte und ihr die Tür aufhielt. Von der Polizeiwache aus ging der Weg durch enge gewundene Gassen zwischen weiß getünchten Häusern hindurch, die vom Platz wegführten. Der Geruch von gebratenen Zwiebeln und Knoblauch lag in der frostigen Abendluft. Sie hörte Frauenstimmen und das Geklapper von
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