Das Zeichen der Schwalbe (German Edition)
Gegensatz zu Esperanzas Nadelarbeit. So klug sie auch sein mag: Esperanza bringt kaum eine Naht zustande, die nicht schief und ungleichmäßig ist. Luz wird gelobt und den anderen Mädchen als Vorbild vorgehalten und das hat Wunder gewirkt. Nach und nach ist sie rundlich geworden, ihre Wunden sind verheilt und manchmal lächelt sie sogar. Sie spricht jedoch nicht und bei jedem scharfen Wort oder einem lauten Geräusch läuft sie weinend davon und kauert sich in eine Ecke.
Esperanza ist viel glücklicher, seit sie Luz hat, um die sie sich kümmert. Während die anderen Mädchen Unterricht haben, bringt sie sie mit ins Skriptorium, wo sie sitzt und näht. »Sie ist ganz ruhig und lieb, nicht wahr, Luz? Und seht, was ich hier habe, Sor Beatriz«, sagte Esperanza eines Tages zu mir. Sie zog ein gefaltetes Taschentuch aus ihrer Tasche und breitete es aus. Es war so zart wie der Flügel einer Motte. »Luz hat das für mich gemacht. Ist es nicht zauberhaft?«
Luz glühte vor Freude, als ich das Taschentuch bewunderte. Es war wirklich wunderschön, mit einem Spitzenrand und einem aufgestickten Vogel. »Eine golondrina !« Esperanza zeigte auf den Vogel. »Ich habe ihr erzählt, wie sie überall im Kloster ihre Nester bauen und für sie singen, weil sie sie mit Brotkrumen füttert. Ist sie nicht ein liebes, schlaues Mädchen?« Luz errötete vor Glück und Esperanza umarmte sie.
Die Nähmeisterin hat Luz nun die Aufgabe übertragen, die Altarwäsche in der Klosterkapelle auszubessern. Normalerweise erlaubt sie niemandem, sie zu berühren. Währenddessen hat die Äbtissin einen Brief im Namen unserer Schutzherrin, der Königin, erhalten, mit der Bitte, für die christliche Bekehrung der Eingeborenen in Spanischamerika zu beten.
Die Äbtissin hat der Nähmeisterin aufgetragen, Luz eine neue Aufgabe zu geben. Sie soll ein Altartuch für die private Kapelle der Königin fertigen und es mit religiösen Symbolen besticken, zwischen denen kleine golondrinas zu sehen sind, das Emblem unseres Ordens. Wir werden es zusammen mit einem respektvollen Brief an den Hof schicken, in dem wir versprechen, so zu beten, wie die Königin es befiehlt, um sie unseres Gehorsams, der Reinheit unseres Glaubens und unserer ehrerbietigen Dankbarkeit zu versichern.
»Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, die Königin daran zu erinnern, dass wir sie als unsere Beschützerin betrachten«, murmelte die Äbtissin.
KAPITEL 14
Kloster Las Golondrinas, Spanien, April 2000
Die ganze Nacht über hatte Menina gegen den Schlaf ge kämpft, um die Albträume abzuwehren, und so fühlte sie sich am Morgen ziemlich umnebelt, als sie Sor Clara durch die Gänge des Klosters folgte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als eine große Kanne Kaffee. Sor Clara führte sie am Skriptorium vorbei zu einer schweren doppelflügeligen Holztür. »Hier ist sala grande .« Die alte Nonne tastete nach einem Schlüsselbund, das sie an einer Kordel um die Taille trug. Schließlich fand sie den Schlüssel, der in das reich verzierte Eisenschloss passte. Er drehte sich zwar im Schloss, doch die Tür ließ sich nicht öffnen, so sehr sie auch dagegen drückte, vor sich hinmurmelte und betete.
Menina bat Sor Clara, beiseitezutreten, und versetzte der Tür einen kräftigen Tritt. Wie praktisch, dass sie feste Schuhe anhatte! Mit einem schabenden Geräusch schwang der Türflügel auf und blieb auf halbem Wege stecken – und wenn man von den Staubwolken ausging, die sie aufwirbelten, war dies das erste Mal seit vielen Jahren, dass jemand diesen Raum betrat. Menina nieste und sah sich um. Vor ihr öffnete sich ein Saal, der so lang und dunkel war, dass die gegenüberliegende Wand im Schatten lag. Sie vermutete, dass er sich über die gesamte Länge des Klosters erstreckte. Als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass er fast so aussah wie der Raum mit dem Eisengitter, in dem sie am Tag zuvor gewesen war, nur dass dieser hier viel größer war. Auch hier standen dunkle, geschnitzte Holzmöbel und unbequem aussehende Rosshaarsofas, aus denen die Füllung hervorquoll, dazu passende Sessel und ein riesiges Kruzifix, das schief an der Wand hing. Dann stockte Menina der Atem. Die Wände, die zunächst einfach nur dunkel ausgesehen hatten, hingen voll von gerahmten Bildern.
Durch die Staubkörnchen sickerte schwaches Licht auf einen fadenscheinigen Perserteppich mitten im Raum. Auf den Arm- und Rückenlehnen der Sessel lagen zerschlissene Schondeckchen, bei
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