Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeichen der Vier

Das Zeichen der Vier

Titel: Das Zeichen der Vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, und es ließ sich so leicht aus der Haut ziehen, daß kaum ein Mal zurückblieb. Nur ein winziger blutroter Punkt zeigte an, wo der Einstich gesessen hatte.
    »Für mich ist das alles ein unlösbares Rätsel«, sagte ich. »Statt klarer wird es immer undurchsichtiger.«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte er, »es klärt sich mehr und mehr auf. Mir fehlen nur noch wenige Glieder in der Kette, dann ist der Fall lückenlos rekonstruiert.«
    Seit wir uns in dem Zimmer befanden, hatten wir die Anwesenheit unseres Gefährten beinahe vergessen. Er stand noch immer wie das leibhaftige Entsetzen in der Tür, rang die Hände und stöhnte leise vor sich hin. Plötzlich jedoch stieß er ein gellendes Jammergeheul aus.
    »Der Schatz ist verschwunden!« rief er. »Sie haben ihm den Schatz geraubt! Dort ist das Loch, durch das wir ihn heruntergelassen haben. Ich habe ihm dabei geholfen! Ich bin der letzte, der ihn lebend gesehen hat! Als ich gestern abend gegangen bin, hörte ich beim Hinuntergehen, wie er die Tür hier abschloß.«
    »Um wieviel Uhr war das?«
    »Um zehn Uhr. Und jetzt ist er tot, und die Polizei wird eingeschaltet werden, und mich wird man verdächtigen, die Hand im Spiel gehabt zu haben. Ja, ganz bestimmt wird man mich verdächtigen. Aber Sie, Gentlemen, glauben dies doch nicht, oder? Sie werden doch nicht glauben, daß ich es war? Hätte ich Sie dann wohl hierhergebracht, wenn ich es gewesen wäre? Oje, oje! Ich werde noch verrückt, ich weiß das!«
    Von einer Art konvulsivischer Raserei ergriffen, begann er, mit den Armen in der Luft herumzufuchteln und mit den Füßen zu stampfen.
    »Sie haben nichts zu befürchten, Mr. Sholto«, sagte Holmes freundlich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so fahren Sie jetzt gleich zum Polizeiposten und erstatten Meldung von der Sache. Bieten Sie der Polizei jede erdenkliche Unterstützung an. Wir werden hier warten, bis Sie wieder zurück sind.«
    Halb betäubt gehorchte der kleine Mann, und wir hörten ihn im Dunkeln die Treppe hinunterstolpern.
6. Sherlock Holmes gibt eine Demonstration
    »So, Watson«, sagte Holmes händereibend, »jetzt haben wir eine halbe Stunde für uns, die wollen wir gut nutzen. Ich habe meinen Fall, wie bereits gesagt, beinahe unter Dach und Fach, aber wir wollen uns davor hüten, allzu siegessicher zu sein. Wie einfach sich der Fall im Augenblick auch ausnehmen mag, so ist doch nicht auszuschließen, daß etwas Verwickelteres dahintersteckt.«
    »Einfach?« stieß ich hervor.
    »Gewiß«, antwortete er mir im Tone eines Professors im Klinikum, der seinen Studenten etwas erläutert. »Nehmen Sie doch dort drüben in der Ecke Platz, damit Ihre Fußabdrücke die Sache nicht unnötig komplizieren. Und jetzt ans Werk! Zuerst einmal: Wie sind diese Herrschaften hereingekommen, und wie sind sie wieder verschwunden? Die Tür ist seit gestern abend nicht geöffnet worden. Wie steht es mit dem Fenster?« Er ging mit der Laterne zum Fenster hinüber und kommentierte dann fortlaufend, was er gerade für Beobachtungen machte, sprach aber mehr zu sich selbst denn zu mir. »Fenster von innen verriegelt. Solider Rahmen. Keine Scharniere auf der Seite. Dann wollen wir es mal öffnen … Kein Regenrohr in der Nähe. Dach klar außer Reichweite. Und doch ist ein Mann durch das Fenster eingestiegen. Es hat gestern nacht ein wenig geregnet. Hier auf dem Fensterbrett zeichnet sich eine lehmige Fußspur ab. Und hier sehe ich einen kreisförmigen, schmutzigen Abdruck, hier auf dem Fußboden noch einen, und hier neben dem Tisch schon wieder einen. Sehen Sie sich das an, Watson! Das gibt wahrlich eine sehr hübsche kleine Demonstration her.«
    Ich betrachtete die klar umrissenen Schmutzkreise.
    »Das sind keine Fußspuren«, bemerkte ich.
    »Nein, es ist etwas, das für uns von unvergleichlich viel größerem Wert ist: der Abdruck eines Holzstumpfes. Sehen Sie, hier auf dem Fensterbrett haben wir einen Stiefelabdruck – er stammt von einem schweren Stiefel mit einem breiten, metallbeschlagenen Absatz – und gleich daneben ist der Abdruck des Stelzbeins.«
    »Der Mann mit dem Holzbein!«
    »Genau. Aber außer ihm war noch jemand da; ein außerordentlich geschickter und tüchtiger Verbündeter. Wäre es Ihnen möglich, diese Wand emporzuklettern, Doktor?«
    Ich streckte den Kopf aus dem Fenster. Unsere Ecke des Hauses war noch immer hell vom Mond erleuchtet. Wir befanden uns gut sechzig

Weitere Kostenlose Bücher