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Das Zeichen der Vier

Das Zeichen der Vier

Titel: Das Zeichen der Vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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einem riesigen indischen Wandteppich zur Rechten und drei Türen zur Linken. Holmes schritt ihn auf dieselbe langsame und systematische Weise ab; wir folgten ihm dicht auf den Fersen, während unsere langen, schwarzen Schatten in der Gegenrichtung den Korridor entlangfluteten. Die dritte Tür war die gesuchte. Holmes klopfte an, ohne daß irgendeine Reaktion erfolgte, worauf er versuchte, den Knauf zu drehen und die Tür aufzudrücken. Diese war jedoch von innen verschlossen, und zwar – wie sich zeigte, als wir die Lampe dicht daranhielten – mit einem kräftigen, breiten Riegel. Der Schlüssel war indessen so im Schloß gedreht, daß die Sicht durchs Schlüsselloch nicht vollständig blockiert war. Sherlock Holmes bückte sich, schnellte aber scharf einatmend gleich wieder hoch.
    »Hier ist was Teuflisches im Gange, Watson«, sagte er und schien tiefer bewegt, als ich es je zuvor an ihm gesehen hatte. »Was meinen Sie dazu?«
    Ich neigte mich zu dem Schlüsselloch und fuhr mit Schaudern zurück. Der Mond schien ins Zimmer und tauchte es in ein diffuses, unbeständiges Licht. Mir direkt entgegenblickend und gleichsam in der Luft schwebend, denn alles, was sich unterhalb befinden mochte, lag im Dunkeln, hing da ein Gesicht: das Gesicht unseres Gefährten Thaddeus. Derselbe hohe, glänzende Schädel, derselbe Kranz von roten Borsten, dasselbe blutleere Antlitz. Die Züge waren jedoch erstarrt zu einem schauderhaften Lächeln, einem reglosen, gefrorenen Grinsen, das in der Szenerie dieses totenstillen, mondbeschienenen Raumes die Nerven stärker angriff als eine noch so grimmige oder verzerrte Fratze. So sehr glich dieses Gesicht dem unseres kleinen Freundes, daß ich mich nach ihm umdrehte, um sicherzugehen, daß er wirklich bei uns war. Dann fiel mir ein, daß er erwähnt hatte, er und sein Bruder seien Zwillinge.
    »Das ist ja grauenhaft!« sagte ich zu Holmes. »Was sollen wir tun?«
    »Die Tür aufbrechen«, antwortete er und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Schloß.
    Es ächzte und knarrte, gab jedoch nicht nach. Zu zweit rannten wir erneut dagegen, und diesmal sprang die Tür mit einem jähen Schnappen auf, und wir standen in Bartholomew Sholtos Kammer.
    Augenscheinlich hatte er sich ein chemisches Laboratorium darin eingerichtet. An der Wand gegenüber der Tür standen zwei Reihen mit Glasstöpseln verschlossener Flaschen, und der Tisch war mit Bunsenbrennern, Reagenzgläsern und Retorten vollgestellt. In den Ecken standen bauchige Korbflaschen, die Säure enthalten mochten. Eine davon war offenbar undicht oder zerbrochen, denn ein dunkel gefärbtes Rinnsal sickerte daraus hervor, und die Luft war stickig und von einem merkwürdig beißenden, an Teer gemahnenden Geruch erfüllt. Eine Bockleiter stand inmitten von abgeschlagenem Stuck und Lattenwerk auf der einen Seite des Zimmers, und in der Decke darüber befand sich eine Öffnung, die gerade groß genug war, um einen Mann durchzulassen. Am Fuß der Leiter lag, in unordentlichen Windungen hingeworfen, ein langes Seil.
    An dem Tisch in einem hölzernen Lehnstuhl saß zusammengefallen der Herr des Hauses. Der Kopf war ihm auf die linke Schulter gesunken, und auf seinem Gesicht lag dieses gräßliche, unergründliche Lächeln. Er fühlte sich starr und kalt an und war zweifellos schon seit mehreren Stunden tot. Ich hatte den Eindruck, daß nicht nur seine Züge, sondern auch all seine Gliedmaßen auf die bizarrste Art und Weise verdreht und verrenkt waren. Neben seiner Hand auf dem Tisch lag ein merkwürdiger Gegenstand: ein brauner, fein gemaserter Stock, an dessen Ende ein Stein wie das Kopfstück eines Hammers mit grober Schnur festgezurrt war. Daneben lag ein abgerissenes Stück Notizpapier, auf das ein paar Worte gekritzelt waren. Holmes warf einen Blick darauf und überreichte es dann mir.
    »Da haben wir’s«, sagte er mit bedeutungsvoll hochgezogenen Augenbrauen.
    Im Schein der Laterne las ich mit einem Schauer des Grauens die Worte »Das Zeichen der Vier«.
    »Um Gottes willen, was hat das alles zu bedeuten?« fragte ich.
    »Es bedeutet Mord«, antwortete er, während er sich über den Toten beugte. »Aha, das habe ich erwartet. Sehen Sie sich einmal das an!«
    Er deutete mit dem Finger auf etwas, das aussah wie ein langer, dunkler Dorn und direkt über dem Ohr in der Haut stak.
    »Das sieht wie ein Dorn aus«, sagte ich.
    »Das ist ein Dorn. Sie können ihn herausziehen. Aber seien Sie vorsichtig, er ist vergiftet.«
    Ich faßte das Ding

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