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Das Zeichen der Vier

Das Zeichen der Vier

Titel: Das Zeichen der Vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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der Verwirrung und Bestürzung auf sein Gesicht treten. Ich folgte seinem Blick und fühlte meine Haut unter den Kleidern eiskalt werden. Der Boden war dicht bedeckt mit Abdrücken eines nackten Fußes; deutlichen, klar umrissenen, wohlgeformten Abdrücken – nur daß sie kaum halb so groß waren wie die eines durchschnittlichen Mannes.
    »Holmes«, sagte ich mit unterdrückter Stimme, »diese Greueltat hat ein Kind begangen.«
    Er war bereits wieder ganz Herr seiner selbst.
    »Im ersten Augenblick war ich ja baff«, sagte er, »aber es gibt eine ganz natürliche Erklärung für die Sache. Mein Gedächtnis hat mich im Stich gelassen, sonst hätte ich das voraussehen müssen. Es gibt hier für uns nichts weiter zu erfahren. Gehen wir wieder hinunter.«
    »Was haben Sie denn für eine Theorie zu diesen Fußspuren?« fragte ich wißbegierig, als wir uns wieder im Zimmer unten befanden.
    »Mein lieber Watson, wagen Sie sich doch selbst an eine kleine Analyse«, sagte er mit einem Anflug von Ungeduld. »Meine Methoden sind Ihnen bekannt. Wenden Sie sie an, und es wird interessant sein, die Ergebnisse zu vergleichen.«
    »Ich kann mir nichts denken, was sich mit den Fakten decken würde«, erwiderte ich.
    »Es wird Ihnen noch früh genug ein Licht aufgehen«, sagte er in seiner saloppen Art. »Ich glaube nicht, daß wir hier noch etwas von Belang finden werden, aber ich will mich doch noch vergewissern.«
    Er zückte sein Vergrößerungsglas und ein Meßband und begann, auf den Knien im Zimmer hin und her rutschend, Messungen, Vergleiche und Untersuchungen anzustellen, wobei seine lange, dünne Nase nur ein paar wenige Zoll von den Dielen entfernt war und seine Augen den glänzenden, tiefliegenden Knopfaugen eines Vogels glichen. Seine Bewegungen waren wie die eines abgerichteten Bluthundes, der eine Witterung aufnimmt, so flink, geräuschlos und verstohlen, daß ich nicht umhin konnte, mir auszumalen, was für ein furchtbarer Verbrecher er geworden wäre, wenn er all seine Tatkraft und seinen Scharfsinn gegen das Gesetz gerichtet hätte, statt sie zu dessen Schutz einzusetzen. Während seine Jagd ihn im Zimmer umhertrieb, murmelte er ohne Unterlaß vor sich hin, und schließlich stieß er einen lauten Freudenschrei aus.
    »Wir haben wirklich Glück«, sagte er. »Jetzt kann uns nicht mehr viel danebengehen. Nummer eins hatte das Pech, in das Kreosot zu treten. Die Kante eines seiner kleinen Füße zeichnet sich hier am Rand dieser übelriechenden Pfütze ab. Sehen Sie, die Korbflasche da hat einen Sprung, deshalb ist das Zeug ausgelaufen.«
    »Und was weiter?« fragte ich.
    »Nun, damit haben wir ihn, das ist alles«, antwortete er. »Ich kenne einen Hund, der diesem Geruch bis ans Ende der Welt folgen würde. Wenn eine Meute Hunde die Spur eines nachgeschleiften Herings durch eine ganze Grafschaft hindurch verfolgen kann, über welche Distanz hinweg kann dann ein speziell dafür abgerichteter Hund einen so beißenden Geruch wie diesen aufspüren? Das klingt wie ein einfacher Dreisatz. Das Resultat wird uns … Aber hallo, da sind ja auch schon die beglaubigten Vertreter von Recht und Ordnung!«
    Von unten her vernahm man schwere Schritte und laut dröhnende Stimmen, dann fiel die Haustür mit heftigem Krachen ins Schloß.
    »Bevor die heraufkommen, legen Sie einmal Ihre Hand hier auf den Arm des armen Teufels, und dann hier aufsein Bein«, wies Holmes mich an. »Was stellen Sie fest?«
    »Die Muskeln sind steif wie ein Brett«, antwortete ich.
    »Ganz recht. Sie befinden sich in einem Zustand äußerster Kontraktion, die weit über einen normalen
rigor mortis
17 hinausgeht. Dies im Verein mit dem verzerrten Gesicht, diesem Hippokratischen Lächeln 18 oder
risus sardonicus,
19 wie die Schriftsteller der Antike es zu nennen pflegten – zu welchem Schluß führt Sie das?«
    »Tod durch ein starkes pflanzliches Alkaloid«, antwortete ich, »eine strychninähnliche Substanz, die einen Starrkrampf hervorruft.«
    »Genau dieser Gedanke ist mir auch gekommen, als ich die verzerrte Gesichtsmuskulatur zum ersten Mal erblickte. Als wir dann das Zimmer betraten, ging ich zuerst der Frage nach, aufweiche Weise das Gift in den Organismus eingedrungen war. Wie Sie gesehen haben, entdeckte ich dabei einen Dorn, der mit nicht allzu großer Wucht in die Kopfhaut getrieben oder geschossen worden war. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß die betroffene Körperpartie diejenige war, die dem Loch in der Decke zugewandt gewesen sein muß,

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