Das Zeichen der Vier

Titel: Das Zeichen der Vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle

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bestimmt einen Späher voraus, und wenn irgend etwas seinen Verdacht erregt, zieht er sich einfach noch eine Woche in sein Schlupfloch zurück.«
    »Aber Sie hätten sich Mordecai Smith an die Fersen heften und sich so zu ihrem Versteck führen lassen können«, bemerkte ich.
    »Das wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Ich denke, die Chancen, daß Smith weiß, wo sie sich aufhalten, stehen eins zu hundert. Weshalb sollte er Fragen stellen, solange der Schnaps ausreicht und die Bezahlung gut ist? Und wenn sie Anweisungen haben, lassen sie ihm eine Botschaft zukommen. Nein, ich habe alle Möglichkeiten des Vorgehens reiflich erwogen, und dies hier ist die beste.«
    Im Laufe dieses Gesprächs waren wir unter der langen Reihe von Brücken, welche die Themse überspannen, hindurchgeschossen. Als wir an der City vorbeifuhren, vergoldeten eben die letzten Sonnenstrahlen das Kreuz auf der Spitze der St. Paul’s Cathedral, und noch ehe wir den Tower erreicht hatten, war die Dämmerung hereingebrochen.
    »Dort drüben liegt Jacobsons Werft«; sagte Holmes und deutete auf ein Gewirr von Masten und Takelwerk am Surrey-Ufer. »Wir können hier, hinter diesen Schleppkähnen versteckt, gemächlich auf und ab kreuzen.« Er zog ein Nachtfernrohr aus der Tasche und spähte eine Zeitlang zum Ufer hinüber. »Meine Wache ist auf dem Posten, aber ich sehe keine Spur von einem Taschentuch.«
    »Wir könnten ja ein Stück flußabwärts fahren und uns dort auf die Lauer legen«, schlug Jones tatendurstig vor.
    Wir alle waren inzwischen von Tatendrang erfüllt, sogar die Polizisten und die Heizer, die nur eine sehr vage Vorstellung davon hatten, worum es hier ging.
    »Wir dürfen ja nichts als gegeben annehmen«, entgegnete Holmes. »Natürlich stehen die Chancen zehn zu eins, daß sie flußabwärts fahren werden, aber sicher sein können wir nicht. Von hier aus können wir die Einfahrt zur Werft überblicken, während sie uns kaum sehen können. Die Nacht wird hell werden und die Sicht klar. Wir müssen bleiben, wo wir sind. Schauen Sie mal, die Leute da drüben, wie sie im Licht der Gaslaternen herumschwärmen!«
    »Die kommen von der Arbeit in der Werft.«
    »Die Kerle sehen ja übel aus, und doch muß man wohl annehmen, daß in jedem ein Fünkchen Unsterblichkeit verborgen liegt. Kaum zu glauben, wenn man sie so betrachtet. Jedenfalls besteht dafür keinerlei apriorische Gewißheit. Ein seltsam enigmatisch Wesen ist der Mensch!«
    »Irgend jemand hat es so formuliert: Des Menschen Seele steckt in einem Tier«, bemerkte ich.
    »Winwood Reade hat einen interessanten Beitrag zu diesem Thema geleistet«, fuhr Holmes fort. »Er sagt, daß der Mensch, wiewohl als Einzelner ein undurchdringliches Rätsel, in der Masse zu einer mathematisch berechenbaren Größe wird. So ist es zum Beispiel nicht möglich, vorauszusagen, was irgendein bestimmter Mensch tun wird, aber man kann mit Gewißheit sagen, wie der Durchschnitt handeln wird. Das Verhalten des Individuums ist eine Variable, das von Bevölkerungsanteilen hingegen eine Konstante; so spricht der Statistiker. Aber sehe ich dort drüben nicht ein Taschentuch? Da flattert doch etwas Weißes.«
    »Ja, das ist Ihr Junge«, rief ich. »Ich kann ihn deutlich erkennen.«
    »Und da kommt die
Aurora
«, rief Holmes aus, »und zwar mit höllischer Geschwindigkeit! He, Maschinist, volle Kraft voraus! Folgen Sie jenem Kahn mit dem gelben Licht. Bei Gott, ich würde es mir nie verzeihen, wenn er uns durch die Lappen ginge!«
    Die
Aurora
war ungesehen durch die Werfteinfahrt geschlüpft und hinter zwei oder drei Booten durchgeglitten, so daß sie schon eine beträchtliche Geschwindigkeit erreicht hatte, als wir sie endlich bemerkten. Nun flog sie dicht der Uferlinie folgend den Strom hinab. Jones betrachtete sie mit sorgenvollem Blick und schüttelte den Kopf.
    »Sie ist unglaublich schnell«, sagte er. »Ich zweifle daran, daß wir sie einholen können.«
    »Wir
müssen
sie einholen!« stieß Holmes zwischen den Zähnen hervor. »Heizer, schaufelt, was ihr könnt! Holt das Letzte aus dem Kahn heraus! Und wenn wir unser eigenes Boot verheizen, wir müssen sie kriegen!«
    Inzwischen hatten wir die Verfolgung aufgenommen. Die Feuerbüchsen röhrten, und die mächtige Maschinerie hämmerte und stampfte wie ein großes metallenes Herz. Der scharfe, steile Bug schnitt durch das ruhige Wasser und ließ zwei Wellen rechts und links von uns wegfluten. Mit jedem Stoß der Maschine zuckte und bebte das Boot wie