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Das Zeichen der Vier

Das Zeichen der Vier

Titel: Das Zeichen der Vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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hundert Meilen östlich, Kanpur ungefähr ebensoweit südlich. Und aus allen Himmelsrichtungen kam nichts als Folter, Mord und Greueltaten.
    Agra ist eine große Stadt, in der es von Fanatikern und wilden Teufelsanbetern aller Art nur so wimmelt. Eine Handvoll Männer wie wir war in den engen, gewundenen Gassen so gut wie verloren. Deshalb ließ unser Anführer über den Fluß setzen und im alten Fort von Agra Stellung beziehen. Ich weiß nicht, ob einer von Ihnen, Gentlemen, je etwas von dieser alten Festung gehört oder gelesen hat. Es ist ein ganz seltsamer Ort, der seltsamste, an dem ich je war, und mich hat es weiß Gott schon in manch merkwürdige Ecke verschlagen. Vor allem ist das Ganze gigantisch groß. Ich glaube, es umfaßt Acres und Acres. Ein Teil des Forts ist neu, und dieser vermochte ohne weiteres, die ganze Besatzung sowie sämtliche Frauen, Kinder, Vorräte und was es sonst noch alles gab, zu fassen, und es blieb noch immer viel Platz übrig. Der neue Teil ist aber noch gar nichts im Vergleich zum alten Bezirk, den seit Jahr und Tag kein Mensch betreten hat und wo das Reich der Skorpione und Tausendfüßler beginnt. Er ist voll von riesigen, verlassenen Sälen, verschlungenen Gängen und langen Korridoren, die sich hin und her winden, so daß es ein leichtes ist, sich zu verirren. Aus diesem Grund wagte sich selten einer von uns dort hinein, nur hin und wieder eine ganze Gruppe, die mit Fackeln auf Erkundung ging.
    Der Frontseite des alten Forts entlang fließt der Fluß und bietet ihm so Schutz; auf den Flanken und auf der Rückseite des Gebäudes aber gibt es unzählige Eingänge, und die mußten natürlich alle bewacht werden, sowohl im alten Teil als auch in demjenigen, in dem unsere Truppen tatsächlich stationiert waren. Es fehlte uns an Männern, ja, wir waren kaum genug, um an allen Ecken des Gebäudes Leute zu postieren und die Geschütze zu bemannen. Und so war es uns schon gar nicht möglich, bei jeder dieser unzähligen Pforten eine starke Wache aufzustellen. Wir entschlossen uns also, in der Mitte des Forts eine zentrale Hauptwache einzurichten und mit der Bewachung der einzelnen Eingänge Gruppen von je einem Weißen und zwei oder drei Eingeborenen zu betrauen. Mir fiel die Aufgabe zu, nachts während einiger Stunden eine kleine abgelegene Tür auf der Südwestseite zu bewachen. Man teilte mir zwei Sikh-Dragoner zu, die meinem Befehl unterstellt waren, und wies mich an, im Notfall meine Muskete abzufeuern, worauf ich sofortige Hilfe von der Zentralwache gewärtigen könnte. Da diese Wache aber mehr als zweihundert Schritt entfernt war und der Raum dazwischen in ein wahres Labyrinth von Gängen und Korridoren zerfiel, hegte ich starke Zweifel, daß sie je rechtzeitig zur Stelle sein könnten, wenn es tatsächlich zu einem Angriff käme.
    Natürlich war ich mächtig stolz darauf, daß man mir dieses kleine Kommando anvertraut hatte, denn ich war ein unerfahrener Rekrut, und obendrein noch einer mit einem Hinkebein. Zwei Nächte lang hielt ich dort Wache mit meinen Punjabis. Es waren zwei hochaufgeschossene, wild aussehende Kerle namens Mahomet Singh und Abdullah Khan, beides kampferprobte Männer, die damals in Chilian Wallah gegen uns gekämpft hatten. Sie sprachen recht gut Englisch, dennoch konnte ich kaum etwas aus ihnen herausbekommen. Sie zogen es vor, die Köpfe zusammenzustecken und die ganze Nacht in ihrem seltsamen Sikh-Kauderwelsch zu palavern. Ich für mein Teil stand jeweils draußen vor dem Eingang und schaute auf die breiten Windungen des Flusses und die blinkenden Lichter der großen Stadt hinab. Das Dröhnen der Trommeln, das Rasseln der Tamtams und das Geschrei und Geheul der von Opium und
Bhang
39 berauschten Rebellen war genug, um uns die gefährlichen Nachbarn jenseits des Flusses die ganze Nacht hindurch in Erinnerung zu halten. Alle zwei Stunden machte der diensthabende Offizier die Runde von einem Wachposten zum andern, um zu kontrollieren, ob alles in Ordnung war.
    Die dritte Nacht meines Wachdienstes war dunkel und dreckig, Nieselregen wehte einem ins Gesicht. Es war kein Zuckerschlecken, bei solchem Wetter Stunde um Stunde in dem Eingang zu stehen. Wieder und wieder versuchte ich, meine Sikhs zum Reden zu bringen, jedoch ohne großen Erfolg. Um zwei Uhr morgens kam die Wachpatrouille vorbei und unterbrach für einen Augenblick die Eintönigkeit der Nacht. Da es nicht den Anschein machte, daß sich meine Gefährten zu einem Gespräch herbeilassen würden, zog

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