Das Zeichen der Vier
so daß es ein leichtes war, ihn zu durchqueren. Es war mir seltsam zumute, als ich neben diesen beiden wilden Punjabis stand und auf den Mann wartete, der seinem Tod entgegenging.
Plötzlich erspähte mein Auge jenseits des Grabens den Lichtschimmer einer verdunkelten Laterne. Er verschwand wieder hinter den Erdwällen, tauchte dann abermals auf und bewegte sich langsam auf uns zu.
›Da sind sie!‹ rief ich aus.
›Du wirst ihn wie üblich anrufen,
Sahib
‹, flüsterte Abdullah. ›Gib acht, daß er keinen Verdacht schöpft. Dann trägst du uns auf, mit ihm hineinzugehen, und wir erledigen den Rest, während du hier Wache stehst. Halt dich bereit, die Laterne aufzudecken, damit wir sicher sind, daß wir auch wirklich den Richtigen haben.‹
Bald stockte das flackernde Licht, bald setzte es sich wieder in Bewegung und hatte sich inzwischen so weit genähert, daß ich auf der anderen Seite des Grabens zwei dunkle Gestalten erkennen konnte. Ich wartete, bis sie die abschüssige Halde heruntergeklettert und durch den Sumpf gewatet waren; erst als sie die Hälfte des Aufstiegs zu unserer Pforte hinter sich gebracht hatten, rief ich sie an.
›Wer da?‹ fragte ich mit gedämpfter Stimme.
›Gut Freund‹, kam die Antwort zurück. Ich deckte meine Laterne auf, und eine helle Flut von Licht ergoß sich über sie. Der erste war ein riesengroßer Sikh mit einem schwarzen Bart, der ihm beinahe bis zum Gürtel hinabwallte. Nur in Kuriositätenschauen hatte ich je einen so großen Menschen gesehen. Der andere war ein kleiner, fetter, kugelrunder Mann mit einem großen gelben Turban; er trug etwas, das in ein Tuch geschlagen war. Er schien vor Angst am ganzen Leib zu zittern, denn seine Hände zuckten, als litte er an Sumpffieber, und sein Kopf mit den kleinen, hell glänzenden Äuglein drehte sich ständig nach rechts und links, wie der einer Maus, die sich aus ihrem Loch hervorwagt. Bei dem Gedanken, ihn zu töten, lief es mir kalt über den Rücken, aber dann dachte ich an den Schatz, und mein Herz wurde hart wie Stein. Kaum hatte er mein weißes Gesicht erblickt, da stieß er einen kleinen Freudenschrei aus und rannte mir entgegen.
›Gewährt mit Euern Schutz,
Sahib
‹, japste er, ›gewährt dem unglücklichen Kaufmann Achmet Euern Schutz. Ich bin durch ganz Radschputana gereist, um hier im Fort von Agra Zuflucht zu suchen. Man hat mich beraubt, geschlagen, beleidigt, und all dies, weil ich ein Freund der
Company
bin. Gesegnet sei die Nacht, da ich mich endlich wieder in Sicherheit befinde, ich und meine bescheidenen Habseligkeiten.‹
›Was trägst du da in deinem Bündel?‹ fragte ich.
›Eine Eisentruhe‹, erwiderte er. ›Sie enthält ein, zwei Familienerbstücke, die für andere ohne Wert sind, an denen ich jedoch sehr hänge. Denkt aber nicht, daß ich ein Bettler bin; ich werde Euch belohnen, junger
Sahib,
und Euren Kommandanten ebenso, wenn er mir den Schutz gewährt, den ich von ihm erbitte.‹
Ich traute mich nicht, länger mit dem Mann zu sprechen. Je länger ich in sein fettes, angsterfülltes Gesicht blickte, desto schwieriger erschien es mir, ihn einfach kaltblütig umzubringen. Das beste war, wenn wir die Sache so schnell als möglich hinter uns brachten.
›Führt ihn zur Hauptwache‹, sagte ich. Die beiden Sikhs nahmen ihn in die Mitte, und der Riese ging hinter ihnen her; so verschwanden sie in dem dunklen Eingang. Nie habe ich einen Mann so rings vom Tode umgeben gesehen wie diesen. Ich blieb mit der Laterne beim Eingang zurück.
Man hörte das gleichmäßige Stapfen ihrer Füße durch die einsamen Korridore hallen. Plötzlich jedoch brach es ab, und ich vernahm Stimmen, Geräusche wie von einem Handgemenge, Schläge. Einen Augenblick später hörte ich zu meinem Entsetzen hastige Schritte herannahen sowie das laute Keuchen eines rennenden Mannes. Ich leuchtete mit meiner Laterne den langen, geraden Gang entlang, und wahrhaftig, da kam wie ein Sturmwind der dicke Mann angerannt; Blut rann ihm über das Gesicht, und dicht auf den Fersen folgte ihm, mit Sprüngen wie ein Tiger, der große, schwarzbärtige Sikh, in dessen Hand ein Messer blitzte. Nie habe ich einen Menschen so schnell laufen sehen wie diesen kleinen Kaufmann. Er gewann mehr und mehr Vorsprung auf den Sikh, und wenn er erst an mir vorbei ins Freie gelangte, so wäre er gerettet, das war mir klar. In meinem Herzen begann sich Mitleid zu regen, aber der Gedanke an den Schatz ließ mich abermals hart und unerbittlich werden.
Weitere Kostenlose Bücher