Das Zeichen des fremden Ritters
lehnte sich zurück und betrachtete zufrieden seine Zuhörer. Sie saßen wie erstarrt da und blickten ihn mit offenem Mund an. Der Schiffer hatte die Geister überlebt! Das war ja wie ein Wunder! Auch Köbes und Hilda standen mucksmäuschenstill und hatten völlig vergessen, Bier nachzuschenken. Jakob überlegte gerade, ob die schreiende Magd auf der Burg vielleicht doch recht gehabt haben könnte, da regten sich die Gäste wieder.
»Puh!«, machte einer und schüttelte sich. »Grässlich.«
»Ich glaube, ich wäre vor lauter Angst tot umgefallen«, rief ein anderer.
»Hilda, gibst du mir noch ein Bier? Das hält ja keiner aus, dieses Geistergefasel!«, sagte der Alte Franz.
Hilda nahm rasch einen der vollen Krüge von der Theke und erfüllte dem Nachtwächter seinen Wunsch.
|120| »Du glaubst also nicht an Geister?«, fragte sie ihn.
»Ich weiß nur, was ich sehe. Und ich habe noch nie etwas gesehen, das nach einem Geist aussah. Noch nie!«
»Und woher hat er wohl das Mal an der Stirn?«, fragte einer der Gäste empört.
»Ein blauer Fleck!«, antwortete der Alte Franzruhig. »Auf seinem Kahn gibt es massenhaft Stellen, wo man sich den Kopf stoßen kann.« Er zwinkerte Klaus zu.
»Ach was!«, rief der Gast ungehalten.
Eine hitzige Debatte entbrannte darüber, ob es nun Geister gab oder nicht. Jeder wollte die anderen mit seinen eigenen gruseligen Erfahrungen übertrumpfen.
Klaus saß in seiner Ecke, trank sein Bier und freute sich, dass er sich so eine gute Geschichte hatte einfallen lassen. Das brachte ein bisschen Leben in kalte und dunkle Winternachmittage. Es war fast schade, dass die Geschichte nur erfunden war. Wenigstens der Teil über die Geister. Der Rest stimmte schon. Sein Kahn hatte vor Anker gelegen und war auf dem Wasser geschlingert. Und davon war er auch wirklich mitten in der Nacht aufgewacht. Aber das hatte daran gelegen, dass ein echter Sturm aufgezogen war. Er hatte die Schneewolken mitgebracht, die dann kurzdarauf eine weiße Decke über das Land gebreitet hatten. Geister? Pah! Die hatte er auch noch nie gesehen! Aber die Geschichte war gut.
»Die Geschichte war gut!«
Klaus schreckte aus seinen Überlegungen auf. Vor ihm stand ein stämmiger Mann, den er nicht kannte. Und der konnte auch noch Gedanken lesen!
|121| »Ich heiße Lukas und bin auch Schiffer«, stellte sich der Mann vor. »Ich bin fremd in der Stadt. Aber es muss gut hier sein, wenn man in der Schenke solche unterhaltsamen Geschichten zu hören bekommt!«
Jakob beobachtete die beiden. Ein fremder Schiffer? Jetzt? Wie war er bei dem Wetter bis hierher gekommen? Jakob wurde neugierig.
Klaus fühlte sich geschmeichelt. »Setzdich zu mir«, lud er den Schiffer ein. »Woher kommst du?«
Lukas legte einen schweren Beutel auf den Boden, stellte seinen Becher auf den Tisch und setzte sich Klaus gegenüber. »Von weiter südlich. Ich bin schon eine Weile da«, fügte er hinzu, als er merkte, wie erstaunt Klaus ihn ansah. »Seit Weihnachten. Da bin ich hier am Hafen vorbeigefahren, weil ich dachte, ich schaffe es noch bis nach Hause, bevor die Eisschollen kommen, aber das war ein Irrtum.«
»Und wo ist dein Kahn?«, wollte Klaus besorgt wissen.
»Das ist das Problem.« Lukas schüttelte den Kopf. »So was Dummes ist mir noch nie passiert. Ich hatte ihn für die Nacht in einen Rheinarm gesteuert und …«
»Was?«, unterbrach Klaus ihn. »Aber das seichte Wasser da friert doch sofort bei der Kälte! Es hat doch kaum Strömung!«
»Genau das ist auch passiert.«
»Warum hast du das gemacht? Das weiß doch jeder Schiffer hier auf dem Fluss.« Klaus wunderte sich wirklich.
Jakob schüttelte den Kopf. Das wusste sogar er! Er |122| war gespannt, was für einen Grund Lukas dafür gehabt hatte.
»Ich wollte aus dem eisigen Wind auf dem Fluss heraus. Und es schneite wie verrückt. Im Rheinarm war es geschützter. Aber am nächsten Tag kam ich nicht mehr heraus. Und jetzt ist der Kahn festgefroren. Da muss ich wohl noch ein Weilchen hierbleiben.«
»Hm«, nickte Klaus. »Gewagt, aber irgendwie verständlich. Wo genau liegt dein Kahn?«
Jakob spitzte die Ohren.
»In der Nähe ist eine alte Mühle. Da drin habe ich es mir ein bisschen gemütlich gemacht.«
Jakob wunderte sich, wie er das geschafft hatte. Er kannte die Mühle gut. Sie war ziemlich verfallen.
»Und was führt dich in die Stadt?«, fragte Klaus.
»Ich brauche Vorräte. Es kann noch eine Weile dauern, bis es taut.«
»Dann bist du heute ja genau richtig
Weitere Kostenlose Bücher