Das Zeichen des fremden Ritters
erzählte. Er kam ja auch genug in der Welt herum. Stille breitete sich aus und die Leute um ihn herum schauten ihn gespannt an. Jakob vergaß sogar, die Krüge nachzufüllen.
Genüsslich trank Klaus einen Schluck Bier, wischte sich mit dem Handrücken den Schaum aus dem Bart und räusperte sich. »Es war in der Thomasnacht vor Weihnachten«, begann er. »Ihr wisst ja, die längste Nacht, die auf den kürzesten Tag des Jahres folgt. Die Nacht der Wintersonnenwende. Ich war auf dem Rückweg von einer längeren Fahrt. Es ging flussaufwärts und ich wusste, dass es noch zwei Tage dauern würde, bis ich endlich hier im Hafen wäre. Das Wetter wurde immer kälter und das machte mir Sorgen. Morgens hatte ich schon eine hauchdünne Eisschicht auf dem seichteren Uferwasser gesehen. |117| Ich konnte nur hoffen, in Erlenburg anzukommen, bevor die ersten Eisschollen auf dem Fluss trieben.
Und als es an diesem Tag zu dunkel wurde, um weiterzufahren, ging ich mit meinem Kahn am Ufer weiter nördlich vor Anker. Es war ein sehr einsamer Ort. Ich konnte noch nicht mal ein entferntes Licht von einem Bauernhof sehen. Über mir war ein klarer Sternenhimmel, der Mond war fast voll. Und um mich herum war alles still und kalt und wie erstarrt. Es war eine Nacht, in der man jedes Geräusch meilenweit hört.«
»Und dann?«, fragte einer von Köbes’ Gästen gespannt.
Jakob seufzte. Sie wussten alle, dass Klaus nicht nur gern erzählte. Er erzählte seine Geschichten auch möglichst lang und spannte damit immer alle auf die Folter.
»Ja, was war dann?«, rief ein anderer.
Klaus trank gemächlich einen Schluck aus seinem Becher. »Nun ja«, fuhr er fort, »es war eine Raunacht! Und es war unheimlich. Ich hatte das Segel eingeholt. Ihr wisst ja, man soll in einer solchen Nacht noch nicht einmal Wäsche auf der Leine lassen, weil die Hunde der Wilden Geisterjagd sie dann zerreißen. Das wollte ich mit meinem Segel nicht erleben. Und dann habe ich es mir in meiner Kajüte im Heck meines Kahns so gemütlich wie möglich gemacht. Die Tür war fest zu, kein Geist konnte herein. Mir konnte nichts passieren. Das dachte ich wenigstens. Irgendwann bin ich dann eingeschlafen. Aber mitten in der Nacht wurde ich von einem Geräusch wach. Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit und |118| spähte aus der Kajüte. Es stürmte, dass die Bäume am Ufer ächzten und stöhnten! Der eisige Wind löschte fast mein Talglicht auf dem Tisch. Mond und Sterne hatten sich verfinstert. Aber ich wusste, dass der Sturm mich nicht geweckt hatte. Und da hörte ich es noch einmal! ›Hohoho! Aus dem Weg!‹«
»Mein Gott! Der Geisterjäger!«, flüsterte jemand.
In Köbes’ Schenke war es totenstill.
»Hast du die Geister gesehen?«, wisperte ein anderer.
»Bist du verrückt?«, sagte Klaus empört. »Man soll sie doch nicht ansehen! Meinst du, ich will mich von ihnen mit Blindheit schlagen lassen? Aber dafür hatten sie mich entdeckt! Sofort warf ich mich auf die kalten Planken. Ganzdeutlich konnte ich spüren, wie etwas Gespenstisches an meinem Kopf vorbeiflog und meine Stirn berührte. Die Stelle wurde sofort eiskalt und pochte gleichzeitig vor Hitze. Man kann sie immer noch sehen!« Klaus schob zum Beweis die Haare aus der Stirn. Ein blauroter Fleck wurde sichtbar.
»Tss tss!«, machte der Alte Franz, zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.
»Und dann wurde alles noch schlimmer«, erzählte Klaus unbeirrt weiter. »Ich dachte schon, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Der Sturm brauste heftiger, er peitschte das Wasser auf. Mein Kahn schlingerte auf den Wellen. Ich betete, dass er sich nicht losriss! Was wäre dann aus mir geworden? Ich hörte Hufgetrappel und Rufe aus der Höhe. Die Wilde Jagd zog über den |119| Himmel, immer hinter dem Jäger her. Und das geisterhafte Bellen der Hunde war so deutlich, als wären sie direkt über mir! Zitternd lag ich mit dem Gesicht nach unten auf Deck und hoffte, sie würden mich nicht mit ihren Zähnen packen und mitnehmen!
Dann endlich wurde das ›Hohoho!‹ des Jägers leiser. Die Wilde Jagd stürmte weiter. Ich glaube, ich habe mich noch nie so erleichtert gefühlt wie in diesem Augenblick. Und plötzlich legte sich der Sturm, als wäre nichts gewesen. Es war vorbei. Aber in dieser Nacht konnte ich lange nicht mehr einschlafen.« Klaus nahm noch einen Schluck aus seinem Becher. »Ja, so war es. Ich kann euch sagen, ich bin froh, wenn der ganze Spuk nach der Dreikönigsnacht wieder aufhört!«
Er
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