Das Zeichen des fremden Ritters
die man in ihn hineinkriechen konnte. Wer zu spät in Erlenburg ankam und vor verschlossenen Stadttoren stand, hatte den hohlen Stamm schon oft zum Übernachten benutzt.
Die Kinder stapften eilig über den Weg zwischen der Klostermauer und den Feldern, die zum Kloster gehörten. Ein Stück weiter weg sahen sie über dem Wald Rauch aufsteigen. Die Leute der Klosterglashütte wohnten |127| dort in ihren Holzhütten auf einer Lichtung. Kurz bevor der Wald begann, erreichten die beiden das Ende der Mauer und bogen nach links in einen Feldweg ein. Er führte hinter dem Kloster her zum Fluss hinunter und dann weiter nach Norden zur alten Mühle.
Es war gut, dass Jakob und Agnes sich auskannten. Wolken waren aufgezogen. Sie hatten den strahlend blauen Himmel vom Vormittag verdeckt und die Welt in graugelbes Licht getaucht. Jetzt begann es auch noch zu schneien! Rasch zogen die Kinder die Kapuzen ihrer Umhänge tiefer in die Stirn. Ein Vorhang aus Schneeflocken versperrte die Sicht. Das leise Prasseln, mit dem sie auf dem gefrorenen Boden aufkamen, war das einzige Geräusch, das die beiden außer ihren knirschenden Schritten hörten.
Endlich kamen sie bei der alten Mühle an. Haus und Scheune waren verfallen, das Dach teilweise eingestürzt und das Wasserrad besaß keine Schaufeln mehr. Ganzin der Nähe war der vereiste Rheinarm. Am Ufer lag der Lastkahn, von dem Lukas erzählt hatte.
»Wenigstens hat er nicht gelogen«, sagte Jakob. »Sein Kahn sitzt wirklich im Eis fest.«
»Und er wohnt in der Mühle. Sieh mal da!«
Agnes zeigte auf die Spuren im zertrampelten Schnee vor dem verfallenen Haus. Sie führten zum Kahn und zurück und schneiten allmählich wieder zu. Deshalb beeilten die Kinder sich, sie näher zu untersuchen. Sie warfen rasch einen Blick ins Haus, aber außer einem Lager aus feuchtem Stroh, ein paar Decken und einer |128| kleinen Feuerstelle war dort nichts zu sehen. Langsam folgten sie den Spuren vom Haus zum Ufer.
Agnes nickte. »Du hattest recht, Jakob. Da sind Hufspuren. Er hat das Pferd.«
»Er muss das Pferd haben. Wer braucht schon einen ganzen Sack Hafer? Und einen Ballen Heu? Stroh reicht doch zum Schlafen! Aber Hafer und Heu sind genau das, was ein Pferd frisst.«
Agnes blickte sich um. »Stimmt! Komm, wir sehen in der Scheune nach. Vielleicht steht es ja da.«
Das morsche Tor gab leicht nach, als sie daran zogen. In der Scheune roch es nach Pferd, und kaum fiel Licht hinein, schnaubte das Tier. Rasch liefen sie weiter in den großen Raum und blieben erstaunt stehen.
Es waren zwei Pferde! Lukas hatte sie gut angebunden. Die eleganten Tiere würden auf dem Markt viel Geld bringen.
»Zwei?«, fragte Agnes verblüfft.
»Vielleicht gehören sie doch jemand anderem.« Jakob zuckte die Schultern.
Agnes schüttelte den Kopf. »Nein! Sieh mal da drüben!«
Zwei Sättel lagen auf dem Boden, daneben zusammengefaltete Pferdedecken. Etwas Goldenes blitzte auf der einen Decke, und als sie sie aufschlugen, erkannten sie den fünfzackigen Stern.
»Ha!«, flüsterte Jakob. »Ich hab’s gewusst. Ich habe ihm seine Geschichte nicht geglaubt. Niemand fährt einen Kahn im Winter in diesen Rheinarm. Er muss schon |129| einen wichtigen Grund dafür haben. Lukas hat ein Versteck gesucht!«
»Aber wo ist das Gepäck? Die Scheune ist leer!«
Jakob war schon wieder draußen und lief zum Kahn. Agnes schob das Tor zu und folgte ihm rasch. Vorsichtig probierten die Kinder aus, ob das Eis am Ufer sie tragen würde. Es war stark genug. Ohne Probleme gelangten sie auf das breite Lastschiff. Jakob ging sofort zu der Kajüte im Heck und zog an der Tür. Zu seiner großen Verwunderung war sie nicht verschlossen.
»Er scheint sich ziemlich sicher zu fühlen«, stellte er fest.
Gespannt betraten sie die kleine Kajüte, aber sie sah genauso aus, wie sie es erwartet hatten. Klaus hatte sie einmal mit auf seinen Kahn genommen, und wie bei ihm gab es auch hier eine Strohmatratze und eine Truhe für Habseligkeiten.
»Da!«, wisperte Agnes. »Das Gepäck!«
In der Ecke hinter der Truhe lagen zwei Reisesäcke. Sie trugen das Zeichen des fünfzackigen Sterns.
»Schon wieder zwei!«, sagte Agnes. »Sir Thomas war nicht allein unterwegs.«
»Nein, das war er nicht.« Jakob zeigte auf die Fidel, die auf dem einen Sack lag. »Konrad hatte recht. Geoffrey ist kein Spielmann. Das da muss sein Reisesack sein. Aber wenn er ein Spielmann wäre, hätte er nicht das Zeichen eines Ritters auf seinem Gepäck. Warum hat er uns
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