Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
Im Salon meines Vaters hatte auf dem Tisch neben seinem Sessel immer ein ganz ähnlicher Stapel gelegen. Hätte man mich früher gefragt, ob in einem durchschnittlichen
Haushalt eher das Poe Journal oder die Fernsehzeitung abonniert wird, hätte ich bestimmt auf Poe getippt.
Jetzt, nachdem ich draußen in der Welt gewesen war, wusste ich es besser.
Ich wählte die Nummer, die im Impressum des Poe Journal stand.
»Mein Vater ist krank«, erzählte ich der Person, die abnahm und deren Stimme eindeutig anzuhören war, dass sie einem Mann gehörte. »Er bat mich, Sie anzurufen, weil er die letzte Ausgabe nicht erhalten hat«, fuhr ich fort. »Können Sie mir weiterhelfen?«
»Mal sehen, was ich für Sie tun kann.« Der Mann klang aufrichtig besorgt.
Ich nannte ihm den Namen meines Vaters und die Adresse in Saratoga Springs.
Nach einem kurzen Augenblick kam er wieder zurück. »Ms Montero?«, fragte er.
»Ariella Montero«, sagte ich.
»Nun, wie es aussieht, ist die Zustelladresse für das Abonnement Ihres Vaters geändert worden. Das ist höchst eigenartig. Jemand hat im Februar bei uns angerufen und darum gebeten, das Journal in Zukunft an eine andere Adresse zu schicken.«
»Oh«, sagte ich schnell. »Etwa zu meinem Onkel?«
»Ist das ein gewisser Mr Pym?«
»Wie lautet denn die Adresse?«
»6705 Midnight Pass Road«, antwortete er. »Wohnt er da?«
»Ach so, ja natürlich«, sagte ich. »Anscheinend hat mein Vater vergessen, dass er das Abo meinem Onkel geschenkt hat. Bitte entschuldigen Sie vielmals, dass ich Ihnen solche Umstände gemacht habe.«
»Ich hoffe, dass Ihr Vater bald wieder wohlauf ist«, sagte der Mann. »Sollte er sich dazu entschließen, unser Journal wieder zu beziehen, lassen Sie es uns bitte wissen.«
Ich bedankte mich bei ihm und verabschiedete mich. Leider habe ich nie seinen Namen herausgefunden, aber dank ihm wusste ich, dass gutes Benehmen nicht vollkommen überholt war. Es tut mir immer noch sehr leid, dass ich ihn anlügen musste.
Sechzehntes Kapitel
Eine der kleinen Ironien meiner Erziehung zeigte sich an dem Tag, an dem mein Vater über John Dewey und die Pragmatiker referierte. Laut Dewey, so mein Vater, müsse Lernen vollkommen auf Erfahrung aufgebaut sein, weil nur aus Erfahrung Wissen erwächst. Jahre später erkannte ich, dass all mein Lernen passiv gewesen war, weil mein Leben darauf ausgerichtet war, geordnet, vorhersehbar und einförmig zu sein. Erst als ich Saratoga Springs verlassen hatte, begann ich, aus echten Erfahrungen zu lernen.
Mithilfe von Mães Computer brauchte ich ungefähr eine Minute, um herauszufinden, dass Midnight Pass in Siesta Key, einem Stadtteil von Sarasota, Florida, lag, und eine weitere Minute, um das Online-Telefonbuch aufzurufen und festzustellen, dass es in dieser Straße keinen Eintrag unter dem Namen Pym gab. Aber vielleicht war die Nummer einfach nicht eingetragen worden oder wurde unter einem anderen Namen aufgeführt.
Sarasota! Mein Vater war tatsächlich ein Gewohnheitstier - falls derjenige, der sich Pym nannte, wirklich mein Vater war. Wer er auch war, ich würde ihn aufsuchen und es herausfinden.
Jetzt musste ich mir nur noch überlegen, wie ich am besten
nach Sarasota kam und ob ich Mãe von meiner Entdeckung erzählen sollte.
Mittlerweile war ich eine dankbare Benutzerin von Straßenkarten. Sarasota war gar nicht so weit von Homosassa entfernt, es lag nur etwa einhundert Kilometer südlich. Ich konnte in ein paar Stunden dort sein.
Warum lag ich dann auf dem Wohnzimmerboden und aß mit meinem Lieblingsaffen Erdnüsse? Ich gab der Hitze die Schuld an meiner Trägheit. Sich draußen zu bewegen, fühlte sich an, als würde man durch einen Teller heißer Suppe waten. Die Luft roch nach überreifen, kurz vor der Fäulnis stehenden Früchten. Es ist einfach zu heiß, um irgendetwas zu tun , dachte ich.
Dabei wusste ich genau, welches der wahre Grund für mein Zögern war: die Frage, die meine Mutter gestellt hatte. Was ist, wenn du ihn findest, Ariella?
Und ich dachte daran, was er erst vor ein paar Monaten zu mir gesagt hatte: Menschen gehen fort. Wenn ich etwas gelernt habe, dann das. Im Leben geht es um nichts anderes.
»Ich glaube, ich weiß, wo mein Vater ist«, sagte ich abends zu Mãe, als wir zusammen Geschirr spülten.
Mãe glitt der Teller, den sie gerade spülte, in das schaumige Wasser. Sie zog ihn wieder heraus und begann, ihn mit dem Schwamm abzureiben.
»Ich glaube, er ist in Sarasota.« Ich trocknete das
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