Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
einmal am Tag, um ihn zu »füttern«. Die Anfangszeit war die schlimmste. Malcolm kam ins Zimmer, zog ein Messer mit Elfenbeingriff aus seiner Manteltasche und schnitt sich ins Handgelenk. Er drückte die Wunde an den Mund meines Vaters und der saugte die Nahrung wie ein Neugeborenes ein.
Mit neuer Kraft erfüllt, schwor er sich jedes Mal, es nie wieder zu tun. Aber er war nicht stark genug, um Malcolm zurückzuweisen.
Eines Nachmittags, als mein Vater gerade Malcolms Blut trank, trat unerwartet Dennis ins Zimmer.
In Vampirgeschichten wird oft erzählt, das Blut eines anderen zu trinken sei ein sehr sinnlicher Vorgang. Mein Vater sagte, dass ein Fünkchen Wahrheit darin stecke. Es bereitete ihm tatsächlich
ein gewisses krankhaftes Vergnügen, Malcolms Blut zu trinken.
Auf Dennis’ Gesicht spiegelten sich Schock und Abscheu wider. Obwohl mein Vater sich schämte, trank er weiter. Erst als er satt war und Malcolm seinen Arm weggezogen hatte, sahen sie Dennis an. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Er sah fast flehentlich aus.
Malcolm öffnete den Mund, und mein Vater wusste, dass er kurz davor war, sich auf Dennis zu stürzen. Mit all der Kraft, die er aufbringen konnte, schrie er: »Nein!«
Malcolm gab ein Geräusch von sich, das wie ein Knurren klang.
»Ich kann euch helfen«, sagte Dennis. »Ich kann euch beiden helfen.«
Im Laufe der nächsten fünf Tage erwies Dennis sich als der beste Freund meines Vaters.
Mein Vater konnte das Bett nicht verlassen und manchmal versetzten ihn der Hunger und der Hass auf Malcolm in eine Art Fieberwahn. Er fantasierte davon, ihn umzubringen. Damals wusste er über Vampirismus nur das, was er in Romanen gelesen und in Filmen gesehen hatte. Einmal flehte er Dennis an, ihm Holzpflöcke und einen Hammer zu bringen.
Stattdessen brachte Dennis ihm Blutkonserven aus dem Krankenhaus mit. Das Blut war zwar nicht so stärkend wie das von Malcolm, stellte sich aber als bekömmlicher heraus. Außerdem wühlte es ihn seelisch viel weniger auf, das Blut per Injektion verabreicht zu bekommen. Dennis berichtete ihm von den laufenden Forschungen zur Entwicklung von künstlichem Blut und von Hormonen, die im Knochenmark die Produktion roter Blutkörperchen anregten. Gemeinsam begannen die beiden, einen Überlebensplan zu entwerfen, der es Vampiren
ermöglichen würde, auf das Trinken menschlichen Bluts zu verzichten.
Während dieser Zeit machte Dennis meinen Vater mit den Schriften von Mahatma Gandhi und des Dalai Lama bekannt. Er las ihm aus ihren Biografien vor. Beide glaubten an die unendliche Überlegenheit von Güte und Gewaltfreiheit. Gandhi schrieb über die Sinnlosigkeit von Rache und die Bedeutung von Gewaltlosigkeit. Und der Dalai Lama sagte: »Für das Erlernen von Toleranz ist der Feind der beste Lehrer.«
Ich musste einen Moment lang nachdenken, bis ich die Bedeutung des letzten Satzes verstanden hatte.
»Ich glaube, jetzt weiß ich, was damit gemeint ist«, sagte ich schließlich.
»Ich habe ziemlich lange dafür gebraucht«, sagte mein Vater, »aber als es endlich so weit war, empfand ich einen unbeschreiblichen Trost. Mir war, als hätte ich diese Wahrheiten schon immer gewusst. Aber erst nachdem ich die Worte gehört hatte, begannen sie, mein Handeln zu beeinflussen.
Als Malcolm das nächste Mal kam, teilte ich ihm mit, dass ich von seinem kannibalischen Unsinn nichts mehr wissen wolle. Mit Dennis’ Hilfe war ich stark genug, meine Forschungen wieder aufzunehmen und mit meinem Gebrechen zu leben.«
»Und Malcolm ließ dich einfach so in Ruhe?«
»Nicht gleich, nein. Anfangs versuchte er, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Er sagte, mein Platz sei in seinem Labor, da er es gewesen sei, der mir ewiges Leben ermöglicht hätte.
Aber Vampirismus ist keine Garantie für ewiges Leben. Im Gegensatz zu den Behauptungen, die du mir gezeigt hast, lebt
nur ein geringer Prozentsatz derer, die eine Zustandsveränderung erfahren haben, länger als hundert Jahre. Viele von ihnen bringen sich irgendwann selbst um - entweder durch ihr aggressives Verhalten oder ihre Arroganz. Ihr Tod ist genauso qualvoll wie der von Sterblichen.«
»Aber es gibt doch bestimmt Formen der Kompensation?«
Mein Vater hatte das Kinn in eine Hand gestützt, und als er mich ansah, lag in seinen Augen mehr Liebe, als ich es je bei ihm gesehen hatte. »Ja, Ari«, sagte er sanft. »Wie ich zuvor schon einmal gesagt habe, es gibt Formen der Kompensation.«
Als es plötzlich klopfte, hielt
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