Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
mit der Zeit instinktiv ausgelöst, sodass er wie ein Automatismus wirkt. Als deine Freundin versuchte, ein Foto von mir zu machen, entluden sich meine Elektronen und lie ßen das Licht im Raum - genauer gesagt, die elektromagnetische Strahlung - durch mich hindurchfließen.«
Ich dachte kurz nach. »Aber warum war auf dem Foto deine Kleidung auch nicht zu sehen? Und warum erscheint sie auch jetzt hier in der Glasscheibe nicht?«
»Meine Kleidung besteht aus sogenanntem ›Metamaterial‹«, erklärte er. »Metamaterial enthält einen hohen Anteil an Metall, weil Metall so gut mit Licht reagiert. Deswegen wird es ja auch zur Herstellung von Spiegeln verwendet. Sobald sich die Elektronen in meinem Körper entladen, erhöht sich meine Hauttemperatur, wodurch sich wiederum die mikroskopische Struktur des Stoffs verändert, sodass er das Licht umleitet und um meinen Körper herumfließen lässt. Wenn meine Kleidung von elektromagnetischen Wellen getroffen wird, zeigt sie also weder ein Spiegelbild noch wirft sie einen Schatten.«
»Cool«, sagte ich, bevor ich darüber nachdenken konnte.
»In England gibt es Schneider, die wahre Zauberkünstler sind«, fuhr mein Vater fort. »Jedenfalls ist die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, eine der Möglichkeiten, um dieses Gebrechen - wenn man es so nennen möchte - zu kompensieren. Und dass ich meine Kleidung bei den besten Schneidern der Welt anfertigen lassen kann, ist natürlich auch nicht gerade ein Nachteil.«
»Nennst du es denn ein Gebrechen?« Ich blickte auf die Stelle in dem Glas, an der das Spiegelbild meines Vaters hätte erscheinen müssen.
Er ließ mich noch einen Moment lang sein nicht vorhandenes Spiegelbild betrachten und kehrte dann zu seinem Sessel zurück. »Die Hämatophagie ist nur ein Aspekt«, sagte er. »Wenn du so willst, hat unser Zustand sehr viel mit Physik zu tun - mit der Umwandlung von Energie, mit Temperaturveränderungen in den Molekülen, ihrer Bewegung und den Druckverhältnissen. Wir können von relativ geringen Mengen Blut leben - etwas, das ich durch persönliche Erfahrung und Experimente gelernt habe -, aber wir werden schwach, wenn wir nicht ausreichend Nahrung erhalten.«
Ich nickte. Und spürte, dass ich Hunger hatte.
Während ich in meinem Abendessen herumstocherte (meine erste selbst zubereitete, leider nicht besonders geglückte Lasagne), nippte mein Vater an seinem zweiten Drink und erzählte mir von den erfreulicheren Seiten des Vampirismus.
»Vieles, das ich vor meiner Zustandsveränderung als selbstverständlich betrachtet habe, empfinde ich jetzt als etwas Besonderes«, sagte er. »Meine Sinne verschärften sich um das Hundertfache. Malcolm gab mir den Rat, die Welt zunächst nur in kleinen Dosen in mich aufzunehmen, um nicht von ihr überwältigt zu werden. Er verglich die Intensität unserer neuen sinnlichen Wahrnehmung mit dem Zustand nach der Einnahme von LSD.«
Ich ließ meine Gabel sinken. »Du hast schon einmal LSD genommen?«
»Nein«, antwortete mein Vater. »Aber Malcolm hatte Erfahrung
damit und sah durchaus Parallelen. Er sagte, ganz normale Dinge würden plötzlich völlig anders wahrgenommen und empfunden werden. Als er einmal in der Kapelle des King’s College war, während die Orgel spielte, hielt er die Flut an Sinneseindrücken kaum aus. Er empfand die Farben als unendlich strahlend, die Töne als ungemein klanggetreu und pur, und sämtliche seiner Sinne vermischten sich, sodass er gleichzeitig die Beschaffenheit der Steinmauern schmecken, den Geruch des Weihrauchs fühlen und den Klang des Orgelspiels sehen konnte.«
»Das kann ich auch«, sagte ich.
»Ja, ich erinnere mich, wie du mir einmal erzählt hast, dass die Mittwoche silbern und die Donnerstage lavendelfarben seien.«
Während er sprach, bewunderte ich sein Hemd, das blau, grün und schwarz und gleichzeitig völlig farblos zu sein schien.
»Ich begann, empfindlich auf Muster zu reagieren«, fuhr er fort. »Malcolm sagte, dass dies nicht allen von uns so ginge. Bestimmte Muster - Paisley zum Beispiel oder die komplizierten Strukturen orientalischer Teppiche - können mich richtiggehend hypnotisieren, bis es mir gelingt, mich von ihnen loszureißen. Nutzlose Komplexität - unbegründete Komplexität - erregt meine Aufmerksamkeit und lässt mich nach Abweichungen suchen, die es nicht gibt. Offenbar hat meine Schwierigkeit, Dinge zu öffnen, etwas damit zu tun; es ist eine Form von Dyslexie. Kennst du das?«
»Nein.« Zum ersten Mal
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