Das Zeichen des Vampirs - The Society of S
siehst aus, als hättest du Hunger. Iss.«
Und so aß ich zum zweiten Mal in meinem Leben Fleisch. Im ersten Moment dachte ich, ich müsste mich übergeben, aber dann merkte ich, dass ich es aushalten konnte, wenn ich es schnell und gründlich kaute. Eigentlich schmeckte es gar nicht so schlecht.
Als wir mit dem Essen fertig waren, begann der Vater zu singen. Mir zuliebe nannte er nach jedem Lied den Titel. »Das war ›I saw the light‹.« Oder »Das war ›Blue Moon of Kentucky‹.« Er hatte eine hohe Tenorstimme und beim Refrain stimmten die Kinder immer mit ein. Als er auf hörte zu singen, schliefen alle außer ihm wieder ein.
Am nächsten Tag ließen sie mich frühmorgens an einer Ausfahrt in Florence, South Carolina, aussteigen und schienen es aufrichtig zu bedauern, dass unsere Wege sich hier trennten.
»Gib gut auf dich acht«, sagte die Frau. »Und pass auf, dass die Polizei dich nicht beim Trampen erwischt.«
Es war ein kalter Morgen. Über der flachen maisfarbenen Landschaft, die von Motels und Tankstellen geprägt war, ging
gerade die Sonne auf. Als das Auto wegfuhr, winkte Lily mir wild durch die Heckscheibe zu. Ich winkte zurück.
Wir würden uns nie wiedersehen. Mein Vater hatte recht: Menschen gehen immer fort. Wie Schatten treten sie in dein Leben und gehen dann wieder fort.
Es dauerte über eine Stunde, bis mich ein Autofahrer mitnahm, der mich auf der I-95 allerdings nur fünfzehn Meilen weiterbrachte. Ich kam an diesem Tag nur zäh voran, und allmählich wurde mir klar, wie viel Glück ich mit meiner ersten Mitfahrgelegenheit gehabt hatte. Ich versuchte, mir zu sagen, dass ich meiner Mutter mit jeder Meile ein Stück näher kam, musste aber zugeben, dass die Tramper-Romantik allmählich ihren Reiz verlor.
Ich beherzigte den Ratschlag der Frau und rannte jedes Mal, wenn ich ein Polizeiauto sah, hinter die Bäume, die an der Straßenböschung standen. Aber sie fuhren immer weiter.
Die meisten Leute, die bereit waren, mich mitzunehmen, fuhren alte Autos. Es hielt kein einziger Geländewagen oder Truck für mich an. Einmal wäre ich von einem Mann in einem panzerartigen Jeep fast über den Haufen gefahren worden.
Als ich abends in der Dämmerung mitten im Nirgendwo an einer Auffahrt stand und gerade überlegte, wo ich die Nacht verbringen könnte, hielt plötzlich ein leuchtend rotes Auto, auf dessen Seite in kleinen silbernen Buchstaben Corvette stand. Als ich die Beifahrertür öffnete, sagte der Fahrer: »Bist du nicht ein bisschen zu jung, um so ganz allein hier draußen rumzustehen?«
Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er war klein und muskulös,
hatte ein kantiges Gesicht und ölige schwarze Haare. Trotz der Dämmerung trug er eine Sonnenbrille, was ich ziemlich merkwürdig fand.
»Ich bin alt genug«, antwortete ich, zögerte aber. Eine Stimme in meinem Inneren sagte: Du musst nicht einsteigen.
»Was ist jetzt, willst du mitfahren oder nicht?«, fragte er.
Es war spät. Ich war müde. Und obwohl er mir nicht geheuer war, stieg ich ein.
Er sagte, er sei auf dem Weg nach Asheville. »Ist das okay für dich?«
»Klar.« Ich war mir nicht sicher, ob er Nashville oder Asheville gesagt hatte, aber beides klang für mich, als würde es im Süden liegen.
Er gab Gas und raste von der Auffahrt auf den Highway. Als er das Radio einschaltete, dröhnte laute Rapmusik durch den Wagen. In jeder zweiten Strophe kam das Wort »bitch« vor. Ich rieb meine Hände, die trotz der Handschuhe vor Kälte steif waren. Aber ich hatte keine Lust, sie auszuziehen, um mir wenigstens die Illusion von Wärme zu erhalten.
Wie lang es dauerte, bis ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmte? Nicht lang. Auf den Wegweisertafeln stand I-26, nicht I-95, und wir fuhren Richtung Westen, nicht Süden. Mir wurde klar, dass ich zurückfahren musste, um nach Savannah zu kommen. Aber wenigstens stand ich nicht draußen irgendwo in der Kälte herum.
Der Fahrer rieb sich immer wieder nervös mit seiner rechten Hand über die linke, die auf dem Steuer lag. Er hatte lange, schmutzige Fingernägel. Seine Kiefermuskeln arbeiteten beständig. Wenn er gelegentlich zu mir rübersah, drehte ich den Kopf zum Beifahrerfenster. In der zunehmenden Dunkelheit konnte ich draußen nicht viel erkennen. Die Straße, die
nur von den Scheinwerfern beleuchtet wurde, war flach und konturenlos. Irgendwann begann sie anzusteigen. Durch den Höhenunterschied fielen meine Ohren zu und ich schluckte mehrmals.
Zwei Stunden später bog der
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