Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
Vom Netzwerk:
Park mit seinen kalt leuchtenden Bäumen war, konnte er endlich atmen. Das Boat Basin, ein stilles gespenstisches Schlachtfeld nach Einbruch der Dunkelheit, war sein Lieblingsort. Es strömte Ruhe und Einsamkeit aus; seine Anwohner, die herumschlenderten, waren nur Pappfiguren. Aber John fühlte sich verhältnismäßig sicher auf den von gelben Laternen beleuchteten Kopfsteinstraßen.
    Ein Mann, dessen kantiges Gesicht von einem Doppelkinn verhunzt wurde, kam mit einem Mastiff John entgegen. Im Vorbeigehen nickte er und sagte: „Hello, Richard.“
    Ein Irrtum, irgend jemand anderer. Das Gesicht kam John irgendwie bekannt vor, aber er konnte ihn nicht unterbringen. Wieder das Gesicht, ein sardonisches Gesicht, dessen hochgezogene Mundwinkel ein leises Lächeln kaschierten. Das Gesicht war bedrückt: ein normales bleiches Gesicht. Bleich. Das Wort ragte aus seinem Verstand hervor, dann glitt es vorbei und wurde vergessen. John stieg von einem Backsteinsockel herunter, der einen großen, seichten Teich überschaute, wo Riverside-Mädchen sonntags mit ihren schicken Hunden angaben. Vielleicht lag es an seiner Hornbrille. Wahrscheinlich wohnten sie in dem Gebäude.
    Als John die Kais erreichte, schloß er sich der Gangart der Bummler an. Nicht viele zu dieser nächtlichen Stunde, dachte er, als er einige Sekunden stehenblieb, um zu beobachten, wie die Lichter einer verankerten Jacht auf dem Wasser spielten. Zu spät für den Schüchternen, zu früh fürs Gewerbe. Ein Mädchen mit einem orangefarbenen Bikini kicherte und setzte sich auf einen Liegestuhl, um ihn dann finster anzublicken. Von einigen Passanten in seiner Richtung wurde er weitergeschubst und hörte das Lachen hinter sich.
    Eine junge Frau mit elegant getürmtem langem Haar kam ihm entgegen. Irgendwie erinnerte sie ihn an den Mann mit dem Mastiff. Er lächelte sie an. Sie reagierte nicht. Wem sah sie ähnlich? Sie ging vorbei. Flüchtig bemerkte John, daß sich ihr Mund bewegte und leise um einen Klumpen Kaugummi herum etwas vor sich hin sagte. Ein Flüstern. Richard, Richard, um die Ecke, zupf, zupf, zupf, sie ist ‘ne Zecke.
    Etwas hing hinter ihm – wenn er sich umdrehen würde, verschwände es. Es waren nicht genügend Leute auf der Promenade, nur Pappfiguren, Gliederpuppen, die alle gleich aussahen. Ein Mädchen ging vorbei, gefolgt von einem alten Mann und einem sehr jungen Mädchen. Gleichaussehende. John pfiff ihnen zu, als sie verlauten ließen: „Hello, Richard.“ Sie hatten Mastiffs nötig. Ein blasses, aufgedunsenes kleines Mädchen in einem Gingangkleid zwinkerte ihm im Vorbeigehn zu. Richard.
    Gleichaussehende. Analogien. Sie werden lächeln. Vorsichtig entfernte er sich von der Promenade; sie schauten ihm nach. Beweg dich graziös. Jede ruckartige Bewegung gibt dich preis. Die Blätter sind gelbgrün und erhalten künstlich durch winzige Scheinwerfer monströse Formen. Er kroch durch das Laub. Von einem plötzlichen Bedürfnis befallen, wieder von der Menge aufgesaugt zu werden, lauschte John nach dem Getöse des Broadway – der verfügte über genügend Leute für jeden Geschmack und Geruch. Der Broadway war brauchbar.
    Als John eine Bewegung zwanzig Meter vor sich wahrnahm, blieb er stehen und zerbrach einen trockenen Zweig. Zwei Gestalten sprangen aus den hohen Büschen auf und rannten einen Grashang hinauf zum Highway darüber.
    Eine Mutaufwallung nutzend, rannte er zur Erkundung hin, nachdem die Flüchtlinge außer Sicht waren. Eine bleiche Form lag in einer trüben Lichtlache, tiefe Schatten hoben ihre ursprünglichen Züge hervor.
    Als John sie anstarrte, bemerkte er, daß ihr rotes, im künstlichen Licht hautfarben wirkendes Taftkleid heruntergerissen worden war. Ein schwarzer BH lag neben einem zusammengerollten Gürtel halb versteckt zwischen den Blättern. Er umkreiste sie entsetzt, aber doch fasziniert von dem raffinierten Lichtspiel auf ihrem Körper.
    Stöhnend und mit geschlossenen Augen wandte sie sich ihm zu. Ihr Haar war fast grün in dem Licht. Dunkelbraun. Herbst. Hol Hilfe. Sie erbebte, und ihr Kopf kippte zur Seite, um drei unregelmäßige Kerben zu enthüllen, die von ihrer Kehle über ihre Kinnkuppe bis zu ihrem zierlichen Backenknochen reichten. Sie krümmte sich, und dann entspannte sich ihr Körper. Und wie Luftakrobaten nach einer gelungenen Nummer klappten ihre Augen auf. Sanfte, blaue, verengte, diesige Augen, die ihn anstarrten. Mikroskopisch erschienen Gestalten in ihren Pupillen, winzige gelbe Figuren, die

Weitere Kostenlose Bücher