Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Zeit-Tippen

Das Zeit-Tippen

Titel: Das Zeit-Tippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Dann
Vom Netzwerk:
größer wurden, ihre Iris verwischten und auf zwei Bühnen spielten.
    John konnte ihre Formen fast erkennen, sogar ehe sie in den Brennpunkt gelangten: einen großen blonden Jüngling, der auf der Stelle tanzte und ein aufgeklapptes Messer auf seinem Zeigefinger balancierte, und einen blassen Burschen mit über der Stirn kurzgeschnittenem, langem schwarzem Haar, der die Hände in die Taschen gesteckt hatte. Er beugte sich über sie, um sie genauer zu betrachten, und roch den beißenden Geruch ihrer Haut. Noch eine Figur – das Mädchen, allerdings angezogen. Ihre Kehle war zu einer Schraube verdreht, wand sich langsam und stieß ihre Schreie aus. Der große blonde Jüngling begann einen indianischen Kriegstanz um sie herum aufzuführen, und sein Freund folgte seinem Beispiel. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Die Burschen hörten auf zu tanzen; der blonde Jüngling umkreiste schnell das Mädchen und drückte seine flache Hand auf ihren Mund, wodurch er tatsächlich ihre Schreie unterband. Ihre Augen waren geschlossen.
    John verfolgte die Vorgänge fasziniert: Es war ein Ballett ohne Musik.
    Der blonde Jüngling klappte sein Messer zu und steckte es in seine Jackentasche. Als sein Kumpel sie losließ, packte er ihren Arm und bedeckte ihren Mund, um ihre neuen Schreie zu verhindern. Seine Fingernägel schnitten in ihr Gesicht und kerbten zackige blutige Linien hinein. Er zerrte sie ins Gras, legte seine flache Hand auf ihren Mund, schnallte ihren Gürtel auf und riß ihr das Kleid herunter.
    Schau nicht hin. Schließ die Augen. Sie waren starr. Der Film surrte seinem Ende zu, wobei er seine Geschwindigkeit bei jeder Bewegung beschleunigte. Das Ballett saugte ihn in ihre Augen und erfüllte ihn mit Widerwillen. Nachdem sie fertig waren, putzte John sich die Nase und zog sein Gesicht von ihrer kühlen Gummihaut zurück. Aber er schaute noch immer zu.
    Sie kämmten sich. Zufrieden mit ihrem Aussehen, änderten die Jünglinge das Szenenbild, jeder ergriff einen ganzen Augapfel und ließ die leere Hauthülle zurück, um den Geist des Mädchens zu verbergen. Strammstehend winkten sie gemeinsam. „Hello, Richard.“ Gelächter, dann mehrmaliges Gekicher, ehe ihre Augen die Pupillen verloren und sich mit einem grauen Schleier füllten.
    Indem er seine Nase an die des Mädchens drückte, versuchte er, einen besseren Blick von den triefenden Augäpfeln der Jünglinge zu erhaschen, bewölkte Opale, die still vor sich hinstarrten. Tränen, dachte er. Der vom Schweiß ranzige Geruch des Mädchens erinnerte ihn an etwas Warmes. Ein gelber Punkt erschien im Grau der Augenhöhlen der Jünglinge; eine mikroskopische Bewegung, ein Miniaturmann mit einem Ultraminiaturmastiff winkte ihm zu. Das Gesicht des kleinen Mannes war gerötet, als wäre er gerade gerannt.
    Der dunkelhaarige Bursche machte eine Pirouette und wandte John den Rücken zu, so daß er den Stereoeffekt beendete. Indem John sein linkes Auge schloß, schaute er in das rechte Auge des Mädchens. Die Augen des blonden Jünglings funkelten. John konnte zwei verschlungene, ineinander verflochtene Gestalten wahrnehmen. Die eine war sein Nachbar, der Mann mit dem Mastiff; die andere konnte er nicht erkennen.
    Der dunkelhaarige Bursche drehte sich zwinkernd herum und rief nach Johns Aufmerksamkeit. John öffnete sein linkes Auge. Es war ein anderer Blickwinkel derselben Szene. John war die andere Gestalt, die sich hinter seinem Nachbar verbarg und sich mit bescheidenem Genuß zärtlich an ihn klammerte. „Richard, Richard, schau hin – das bist du.“ John schloß die Augen.
    „Guck, wir haben noch mehr“, sagte der blonde Jüngling. „Guck, guck doch. Die Frau mit dem Kuchen, willst du etwas davon abhaben? Es ist deine Mama. Der alte Mann und das junge Mädchen, schau sie dir an. Guck.“ Und zwinkernd fuhr er fort: „Babys, die Babys machen und Metallgarnituren auf die Straße werfen. Mehr, wir haben mehr.“
    Genug. Er folgte den Burschen auf den Hügel, wobei er geistig seine Fußabdrücke verwischte und vorsichtig in die hastig geschaffenen Hohlräume der Burschen trat. Hinter ihm flüsterte der Körper des Mädchens immer noch Richard. Es war irgendein anderer.
    John wollte Leute sehen, haufenweise. Die grauen Gebäude vor ihm beruhigten ihn. Er vergaß seine Platzangst, rannte im Gegenlicht über den Riverside Drive, wobei er den Autos auswich, durch die 79 th Street zurück zum Broadway. Die Lichter flimmerten in der vom Beton aufsteigenden Hitze, eine

Weitere Kostenlose Bücher