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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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hat. Der Fleck wäre somit besonders wichtig für die Porträtmalerei und den Versuch, unter die Oberfläche des Gesichts zu blicken, wie wir es bei Kokoschka erlebt haben.
    Wie diese Verbindungsmuster bereits vermuten lassen, bestätigen Gehirnuntersuchungen mit funktionellen bildgebenden Verfahren, dass die bei Affen entdeckten Gesichts-Flecken auch in Menschen aktiv sind. Zudem sind einige mit der Amygdala verknüpft, die bewusste wie auch unbewusste Gefühle steuert, worauf wir noch eingehen. Demzufolge sind die Arbeiten von Tsao und Freiwald ein wichtiger Schritt zur Verbindung der kognitiven Aspekte menschlicher sozialer Interaktionen, welche von der Gesichtswahrnehmung ausgehen, mit den unbewussten und bewussten emotionalen Prozessen und dem Gefühlszustand, die von der Gesichtswahrnehmung ausgelöst werden. Insgesamt sind die Untersuchungen über Prosopagnosie (die Unfähigkeit, ein bestimmtes Gesicht zu erkennen) und die Arbeiten von Gross, Puce, Kanwisher und den Forschern um Livingstone eine erste Erklärung dafür, wie unser Sehsystem mit einigen Hirnarealen vernetzt ist, die unsere Aufmerksamkeit auf Gesichter ziehen, und mit anderen Arealen, die dem Gesicht einen Gefühlsausdruck zuschreiben.
    DIE HÄNDE UND DER KÖRPER SIND IN anderen Hirnbereichen repräsentiert und sie übermitteln andere Informationen. Während das Gesicht für den Ausdruck von Gefühlen entscheidend ist, signalisieren die Hände und der Körper den Umgang mit Gefühlen. Das Gesicht übermittelt auch dann Informationen, wenn es unbewegt bleibt, wohingegen der Körper vor allem über Bewegungen Informationen aussendet. Die Neurologin Beatrice de Gelder hat es folgendermaßen ausgedrückt: »Ein wütendes Gesicht wirkt noch bedrohlicher, wenn es von einer geballten Faust begleitet wird, und ein ängstliches Gesicht noch beunruhigender, wenn die Person Hals über Kopf davonstürzt.« 150 Von Kanwisher 2001 durchgeführte bildgebende Untersuchungen des Gehirns offenbarten erstmalig, dass Neuronen in der Area extrastriata , einem Bereich außerhalb des primären Sehzentrums im Okzipitallappen, selektiv auf Bilder des menschlichen Körpers reagieren. Tatsächlich haben Bilder von Körpern oder Körperteilen eine starke Wirkung auf uns und nehmen unsere Aufmerksamkeit gefangen, selbst wenn wir uns gerade auf eine andere Tätigkeit konzentrieren. Dies könnte ein wichtiger Grund für die große historische Bedeutung der figurativen Kunst sein.
    Während die Area extrastriata selektiv auf die Anwesenheit einer anderen Person reagiert, spielt eine nicht weit davon entfernte Region im Temporallappen – der obere temporale Sulcus – eine entscheidende Rolle bei der Analyse der biologischen Bewegung , also der Bewegungen von Lebewesen. Diese Region wurde 1998 von Puce und David Perrett entdeckt, die bemerkten, dass dort befindliche Zellen stärker auf Mund- und Augenbewegungen sowie auf Bewegungen der Gliedmaßen reagieren als auf Bewegungen, die nicht von Körperteilen ausgehen. Der Kognitionspsychologe Kevin Pelphrey von der Yale University vermutet, dass der obere temporale Sulcus die Richtung eines menschlichen Blicks interpretiert, indem er beurteilt, worauf die betreffende Person ihre Aufmerksamkeit richtet oder ob die Person sozialen Kontakt sucht oder meidet. Die Blickrichtung eines Gesichts und sein Gefühlsausdruck fesseln gemeinsam die Aufmerksamkeit des Betrachters. Demzufolge lenken Porträts unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf das Gesicht und seinen Ausdruck, sondern auch auf seine Blickrichtung.
    Bewegungen sind ganz besonders informativ. Auch ohne andere Anhaltspunkte sagt uns die Art und Weise, wie sich etwas bewegt, ob es sich um einen Menschen handelt oder nicht, und noch viel mehr – unter anderem, was in der sich bewegenden Person vorgeht und was sie empfindet. 1973 brachte Gunnar Johansson bei einer seiner Studentinnen 14 Lämpchen an den wichtigsten Gelenken an und filmte sie, während sie sich im Dunkeln bewegte. Zu Beginn des Films bewegt sich nur ein einziger Lichtpunkt, dann sieht man alle 14, die aber bewegungslos verharren. Wenn wir nur einen einzigen sich bewegenden Lichtpunkt sehen, erlaubt uns das keinerlei Schlüsse über die Art der Bewegung. Wenn wir alle Lichtpunkte sehen, ohne dass sie sich bewegen, gewinnen wir den Eindruck eines statischen Objekts. Doch sobald sich alle Punkte in Bewegung setzen, erscheint eine Gestalt. Außerdem können wir dann sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt und

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