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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Schritt näher. In ihrem Gewicht war diese Entdeckung vergleichbar mit den Ergebnissen einer früheren, davon unabhängigen Suche nach der Hirnstruktur, die unser erstes, unbewusstes Registrieren einer Veränderung des Körperzustands auslöst. Im Jahre 1939 fanden Heinrich Klüver und Paul Bucy von der University of Chicago bei ihren Studien an Affen den ersten Hinweis auf diese Struktur. Nachdem sie den Temporallappen, zusammen mit den tief darin liegenden Strukturen der Amygdala und des Hippocampus, in beiden Hirnhälften entfernt hatten, stellten sie erhebliche Verhaltensänderungen bei den Tieren fest. Affen, die vor der Operation wild gewesen waren, wurden zahm; außerdem verloren sie ihre Angst, weil ihre Emotionen abflachten. Weitere Untersuchungen veranlassten Lawrence Weiskrantz 1956, die Amygdala besonders in Augenschein zu nehmen.
    Weiskrantz fand heraus, dass das Entfernen der Amygdala aus beiden Hirnhälften bei Affen erlernte wie auch instinktive Furcht reduzierte. Affen ohne Amygdala lernten nicht, schmerzliche Schocks zu vermeiden. Sie waren offensichtlich nicht in der Lage, positive oder negative verstärkende Reize zu erkennen. Wenn Weiskrantz dagegen die Amygdala normaler Affen elektrisch stimulierte, erzeugte er Angst und Bangigkeit. Seine Entdeckung ließ bereits die immens wichtige, entscheidende Bedeutung erahnen, die die Amygdala für Emotionen hat.
    JOSEPH LEDOUX, DER HINSICHTLICH der Neurobiologie von Emotionen bei Versuchstieren Pionierarbeit leistete, stellte fest, dass die Amygdala über ihre Verbindungen mit anderen Hirnregionen Emotionen dirigiert. In seinen Untersuchungen arbeitete LeDoux mit klassischer Pawlow’scher Konditionierung (Abb. 21-3). Um Ratten Furcht anzutrainieren, ließ er jedes Mal ein Geräusch ertönen, bevor er unmittelbar danach den Tieren über ihre Füße einen Elektroschock versetzte, der sie veranlasste, sich zusammenzukauern und zu erstarren. Nachdem Ton und Schock mehrere Male gekoppelt worden waren, lernten die Ratten, dass der Ton dem Schock voraufging, und erstarrten, sobald sie den Ton hörten.
    Als Nächstes untersuchte LeDoux die Route, über die der Ton zur Amygdala wandert, zu dem Zentrum im Gehirn, das Angst organisiert. Er fand heraus, dass Hörreize auf zwei verschiedenen Bahnen zur Amygdala gelangen können. Die eine, direkte Bahn verläuft vom Thalamus zur Amygdala. Dort werden akustische Informationen zusammen mit Informationen über Berührungen und Schmerz verarbeitet, die ebenfalls auf direktem Wege vom Thalamus zur Amygdala gelangt sind. Die direkten Bahnen werden genutzt, um sensorische Daten unbewusst zu verarbeiten und sensorische Aspekte eines Ereignisses automatisch zu verknüpfen. Es handelt sich um schnelle, grobe und eher unflexible Vorgänge; das Senden der sensorischen Informationen vom Thalamus zur Amygdala erfolgt mit einer nur minimalen zusätzlichen Bearbeitung. Anschließend übermittelt die Amygdala die Informationen zum Hypothalamus, der physiologische – körperliche – Reaktionen auf emotionale Reize vermittelt und vermutlich unbewusste Aspekte von Emotionen in neuronale Aktivität codiert. Der Hypothalamus wiederum übermittelt die physiologische Reaktion an die Hirnrinde.

    Abb. 21-3
    Die zweite Bahn zur Amygdala verfolgt einen indirekten Weg. Sie entspricht im Grunde der direkten Bahn, ist aber langsamer und flexibler. Die indirekte Bahn, die eigentlich aus vielen Bahnen besteht, sendet Informationen vom Thalamus über mehrere Relais in der Großhirnrinde, darunter diejenigen, die durch die körperlichen Reaktionen angeregt werden, und diejenigen, die andere Aspekte der Umwelt codieren. Informationen von der indirekten Bahn gelangen langsamer zur Amygdala und können auch nach dem Ton und dem Elektroschock noch einige Zeit nachwirken. Im Prinzip kann diese Bahn zur bewussten Verarbeitung von Informationen beitragen. Laut LeDoux transportieren die direkte und die indirekte Bahn zusammen die beiden Komponenten von James’ emotional empfundenem Objekt – die unmittelbare unbewusste Reaktion und die verzögerte bewusste Beurteilung.
    Indem ein konditionierter Reiz – beispielsweise ein Ton, der stets einem Elektroschock vorausgeht – die direkte Bahn zur Amygdala und zum Hypothalamus aktiviert, kann er unser Herz zum Rasen und unsere Handflächen zum Schwitzen bringen, bevor uns über die indirekte Bahn bewusst wird, was wir gerade gehört haben. Demzufolge hat die Amygdala Anteil an den automatischen (oder

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