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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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schärfen und neutralere, weniger emotional besetzte Reize überlagern. Dies gilt sowohl für die Wahrnehmung als auch für die Entwicklung des Gedächtnisses.
    WEIL DIE AMYGDALA MIT DEN GESICHTS-FLECKEN des präfrontalen Cortex und zahlreichen anderen Hirnstrukturen kommuniziert, gehen ihre Funktionen über das Regulieren persönlicher Emotionen und Gefühle hinaus und umfassen auch die Steuerung der sozialen Kognition. Wie Darwin in Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren bereits vermutete, besteht eine enge biologische Verbindung zwischen der privaten Welt unserer Gefühle und der öffentlichen Welt unserer Interaktionen mit anderen Menschen.
    Unsere sozialen Interaktionsmuster bilden sich schon in frühester Kindheit aus; die Bindung eines Babys zu seiner Mutter bleibt das gesamte Leben über bedeutsam und beeinflusst das soziale Verhalten bis ins Erwachsenenalter hinein. Das soziale Umfeld ist für das Überleben des Individuums von entscheidender Bedeutung. Dies erfordert laut Adolphs und seinen Mitarbeitern, dass sich unser Gehirn schnell anpassen und aus sozialen Situationen lernen kann. Wie wir gesehen haben, spielt die Amygdala wegen ihrer Fähigkeit, emotional besetzte Reize einzuschätzen, hierbei eine zentrale Rolle. Ist die Amygdala bei nichtmenschlichen Primaten sowie bei Ratten und Mäusen geschädigt, führt dies in der sozialen Interaktion vor allem zur Unfähigkeit, bedrohliche, überraschende oder unerwartete Reize, von gefährlichen Schlangen bis zu gefährlichen Menschen, zu entdecken. Bei Menschen hingegen resultiert eine Schädigung der Amygdala insbesondere in unangemessenen Reaktionen auf mehrdeutige soziale Signale und in dem Unvermögen, auf bedrohliche Situationen beliebiger Art entsprechend zu reagieren. Die Amygdala, mit ihren verzweigten Verbindungen zu anderen Hirnbereichen, registriert mehrdeutige soziale Signale, interpretiert sie und ermöglicht auf diese Weise die soziale Interaktion.
    Wie und wo werden unbewusste, emotional besetzte Wahrnehmungen von Gesichtern verarbeitet? Sind bewusste und unbewusste Emotionen im Gehirn unterschiedlich repräsentiert? Amit Etkin von der Columbia University und seine Mitarbeiter gingen diesen Fragen nach, indem sie untersuchten, wie Menschen bewusst und unbewusst auf Fotos von Personen reagieren, die entweder einen eindeutig neutralen oder einen angsterfüllten Gesichtsausdruck hatten. Die Fotos stellte Paul Ekman zur Verfügung, der, wie erwähnt, über 100000 menschliche Gesichter katalogisiert hat. Er konnte damit, wie schon Darwin vor ihm, zeigen, dass sechs bewusst wahrgenommene Gesichtsausdrücke – Glück, Furcht, Ekel, Zorn, Überraschung und Traurigkeit – ungeachtet von Geschlecht oder Kultur im Grunde weltweit gleich interpretiert werden.
    Etkin behauptete, bei all seinen jungen Studenten, die sich für das Experiment zur Verfügung stellten, müssten angsterfüllte Gesichter eine ähnliche Reaktion hervorrufen – gleichgültig, ob sie den Reiz bewusst oder unbewusst wahrnahmen. Die bewusste Wahrnehmung von Angst erzielte er, indem er die ängstlichen Gesichter so lange präsentierte, dass die Versuchspersonen Zeit hatten, darüber nachzudenken. Für die unbewusste Wahrnehmung von Angst präsentierte er dieselben Gesichter so schnell, dass die Versuchspersonen nicht angeben konnten, welche Art von Ausdruck sie gesehen hatten. Sie waren nicht einmal sicher, ob sie überhaupt ein Gesicht gesehen hatten!
    Es war nicht weiter überraschend, dass die Amygdala derjenigen Personen, denen Etkin angsterfüllte Gesichter zeigte, auffällig aktiv war. Verblüffend war aber, dass die bewusste und die unbewusste Wahrnehmung unterschiedliche Regionen der Amygdala anregten; darüber hinaus reagierten Personen, die bei einem Test über allgemeine Ängstlichkeit hohe Punktwerte erzielt hatten, stärker auf die unbewusst wahrgenommenen Gesichter als Personen mit einer geringen allgemeinen Ängstlichkeit. Die unbewusste Wahrnehmung angsterfüllter Gesichter aktivierte den basolateralen Kern, der den größten Teil der ankommenden sensorischen Information empfängt; die Kommunikation der Amygdala mit der Hirnrinde erfolgt weitgehend über ihn. Dagegen aktivierte die bewusste Wahrnehmung angsterfüllter Gesichter die dorsale Region der Amygdala, zu der der zentrale Kern gehört. Dieser sendet Informationen an die Teile des vegetativen Nervensystems, die für Erregung und defensive Reaktionen verantwortlich sind.
    Dies sind

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