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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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führte der Psychologe Nico Frijda Schachters Argumentation noch einen Schritt weiter: Er stellte fest, dass jeweils das, worauf unsere Aufmerksamkeit zu einem gegebenen Zeitpunkt gerichtet ist, unser bewusstes Erleben von Emotionen – das, was wir fühlen – bestimmt. Aufmerksamkeit ist gleichsam der Dirigent eines Sinfonieorchesters, der verschiedenen Instrumentengruppen – Streichern, Hörnern, Holzbläsern – zu unterschiedlichen Zeiten ihren Einsatz gibt, um jeweils andere musikalische Effekte, andere bewusste Erfahrungen zu erzielen.
    NEBEN DER ERFORSCHUNG DER ROLLE, die die Bewertung einer unspezifischen Erregung spielt, ist jedoch auch James’ ursprüngliche Theorie wieder in den Blickpunkt gerückt. Hugo Critchley und seine Mitarbeiter an der University of Sussex in England haben entdeckt, dass verschiedene Emotionen tatsächlich unterschiedliche Reaktionen im vegetativen Nervensystem hervorrufen können und dass diese vegetativen Reaktionen spezifische physiologische Reaktionen des Körpers bewirken. Sie untersuchten ein Hirnareal, das bewusste emotionale Reaktionen koordiniert, mit bildgebenden Verfahren. Diese Bilder kombinierten sie dann mit Aufzeichnungen der physiologischen Reaktionen von Magen und Herz und identifizierten auf diese Weise zwei Arten von Ekel. Obwohl Ekel ein spezielles Gefühl ist, stützen diese Experimente dennoch die somatische James-Lange-Theorie der Emotionen. Demzufolge werden Gefühle anscheinend sowohl durch die kognitive Bewertung emotional besetzter Reize ausgelöst als auch, zumindest unter gewissen Umständen, von spezifischen körperlichen Reaktionen auf diese Reize (Abb. 21-1).

    Abb. 21-1
    Diese moderne Version der James-Lange-Theorie (Abb. 21-1) hat die wissenschaftliche Auffassung von Emotionen dramatisch verändert. Obwohl Emotionen von neuronalen Systemen transportiert werden, die teilweise unabhängig von den wahrnehmenden, denkenden und schlussfolgernden Systemen des Gehirns sind, wissen wir mittlerweile, dass Gefühle auch eine Form der Informationsverarbeitung und somit kognitiver Art sind. Demzufolge hat sich auch unsere Vorstellung von Kognition erweitert; sie umfasst, wie Uta und Chris Frith hervorgehoben haben, alle Aspekte der Informationsverarbeitung im Gehirn – nicht nur Wahrnehmen, Denken und Schlussfolgern, sondern auch Gefühle und soziale Kognition.
    Wie werden unsere emotionalen Reaktionen koordiniert? Welcher Art ist die Beziehung zwischen unseren bewussten Gefühlen und den unbewussten physiologischen Veränderungen, die emotional besetzte Reize in uns auslösen?
    Die Entwicklung funktioneller bildgebender Verfahren in den 1990er-Jahren versetzte Wissenschaftler in die Lage, die Hirnaktivität von Personen zu untersuchen, die sich auf bestimmte Aufgaben konzentrierten. Die Ergebnisse bestätigten auf erstaunliche Weise die Auffassung von James sowie späteren Arbeiten Schachters und Damasios über die Unterschiede zwischen unbewussten Emotionen und bewussten Gefühlen. Drei Forschungsgruppen – von Ray Dolan am University College London, von Damasio, nun an der University of Southern California, und von Bud Craig am Barrow Neurological Institute in Phoenix – entdeckten dank der bildgebenden Verfahren unabhängig voneinander einen kleinen separaten Hirnrindenbereich zwischen Parietal- und Temporallappen: die vordere Inselrinde oder Insula .
    Die Insula (Abb. 21-2) ist ein Hirnareal, in dem unsere Gefühle repräsentiert sind – unser Bewusstsein für die Reaktionen unseres Körpers auf emotional besetzte Reize, negative wie positive, einfache wie komplexe. Die Insula wird aktiv, wenn wir solche Reize bewusst bewerten; sie repräsentiert also unser bewusstes Empfinden zahlreicher und vielfältiger instinktiver Triebe und vegetativer Reaktionen – vom Verlangen nach einer Zigarette bis zu Hunger und Durst, von Mutterliebe bis zu sinnlichen Berührungen, Verliebtheit und Orgasmus. Die Insula bewertet und verarbeitet nicht nur die emotionale oder motivationale Bedeutsamkeit dieser Reize; sie fungiert auch als Koordinationszentrum zwischen äußerer sensorischer Information und unseren inneren Motivationszuständen. Kurz gesagt: Wie Craig es ausgedrückt hat, ist dieses bewusste Empfinden körperlicher Zustände ein Maß für unser emotionales Selbst-Bewusstsein – für das Gefühl, dass »ich bin«.

    Abb. 21-2
    Als man entdeckte, welche Bedeutung die Insula für bewusstes Empfinden hat, kam man der Erklärung von Emotionen einen großen

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