Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
aus als das Ausbleiben der Erkenntnis.
Abb. 30-2.
Unmittelbar bevor eine Person eine Entscheidung trifft, ist, parallel zu Abb. 30-1, in der rechten vorderen oberen temporalen Hirnwindung eine hochfrequente (Gamma-)Aktivität zu beobachten.
Das bildgebende Verfahren offenbarte, dass eine Region des rechten Temporallappens – der vordere obere temporale Gyrus – besonders aktiv wurde, wenn die Versuchsteilnehmer einen Aha-Moment erlebten (Abb. 30-1). Dieselbe Region wurde auch beim ersten Nachdenken über das Problem aktiv, was nahelegt, dass die Reaktion der Region nicht auf den Aha-Moment beschränkt ist. Und schließlich wurde dieser Bereich des rechten Temporallappens durch Aufgaben aktiviert, die die Vernetzung nicht eng miteinander verknüpfter Informationen erfordern, beispielsweise wenn man das Thema einer mehrdeutigen Geschichte erschließen muss.
Um eine bessere zeitliche Auflösung zu erzielen und zu bestimmen, welche Art von Hirnsignalen mit diesen Lösungen einhergehen, verwendeten Jung-Beeman und Kounios EEGs. Sie fanden heraus, dass dieselbe Region des rechten Temporallappens, die auch die fMRT offenbart hatte, eine hochfrequente (Gamma-)Aktivität zeigt, unmittelbar bevor die untersuchte Person eine bindende Entscheidung trifft (Abb. 30-2).
Demzufolge scheint, ganz wie es Hughlings Jackson schon ein Jahrhundert zuvor vermutet hatte, die rechte Hirnhälfte in der Lage zu sein, zwischen verschiedenen Arten von Informationen Verbindungen herzustellen. Problemlösen beruht generell auf der gemeinsamen Nutzung cortikaler Netzwerke; dennoch lässt uns die plötzliche Eingebung, die auftritt, wenn wir auf separate neuronale und und kognitive Prozesse zurückgreifen, offenbar Verknüpfungen erkennen, die uns zuvor stets entgangen waren.
IM WEITEREN VERLAUF IHRER ZUSAMMENARBEIT entdeckten Jung-Beeman und Kounios, dass kreative Einsicht im Grunde der Höhepunkt einer Reihe transienter, also vorübergehender, Hirnzustände ist, die an verschiedenen Orten und mit unterschiedlicher Dauer wirksam sind – und dies, obwohl die Einsicht plötzlich kommt und unabhängig von den vorangegangenen Denkprozessen zu erfolgen scheint.
Bei Versuchspersonen, die ein Problem mit kreativer Einsicht lösen, werden als erste Hirnareale die vorderen cingulären Regionen des präfrontalen Cortex und der temporale Cortex in beiden Hirnhälften aktiviert. Wenn sie ein Problem analytisch lösen, ist der visuelle Cortex aktiv; das deutet darauf hin, dass die Versuchsteilnehmer ihre Aufmerksamkeit auf den Bildschirm richten, wo das Problem präsentiert wird. Jung-Beeman und Kounios definieren dies als Vorbereitungsphase , als die Zeitspanne, die der Präsentation eines Problems unmittelbar voraufgeht; sie ähnelt dem von Goldberg identifizierten vorher bestehenden Hirnzustand. Laut Jung-Beeman versucht das Gehirn in dieser Phase, sich auf das Problem zu konzentrieren und alles andere auszuschalten. Als Nächstes, gleichzeitig mit der eigentlichen Herleitung der Lösung, registriert das EEG eine Spitze hochfrequenter elektrischer Aktivität. Parallel zu dieser plötzlichen Häufung von Gamma-Oszillationen ( gamma burst ) zeigt die funktionelle MRT eine Aktivität im rechten Temporallappen an, insbesondere im oben erwähnten vorderen oberen temporalen Gyrus (Abb. 30-2).
In Einklang mit den Schlussfolgerungen, die Nancy Andreasen aus ihrer Untersuchung kreativer Autoren gezogen hat, glaubt Jung-Beeman, dass die Entspannungsphase für das Aha-Phänomen von entscheidender Bedeutung ist. Seiner Meinung nach ist kreative Einsicht ein fein abgestimmter geistiger Balanceakt, auf den das Gehirn eine Menge Aufmerksamkeit verwendet. Ist es erst einmal fokussiert, muss es entspannen, um alternative Lösungswege finden zu können, und solche Wege offenbaren sich mit größerer Wahrscheinlichkeit als Ergebnis von Verarbeitungsprozessen in der rechten Hirnhälfte. Aus diesem Grunde erzählen möglicherweise so viele Menschen, ihnen sei bei einer warmen Dusche eine kreative Eingebung gekommen. Ein weiterer idealer Moment für Geistesblitze ist angeblich der frühe Morgen, direkt nach dem Aufwachen. Das verschlafene Gehirn ist noch entspannt und unorganisiert und damit offen für alle Arten unkonventioneller Ideen.Weiter behauptet Jung-Beeman: Eine Person, die aktiv versucht, mit kreativer Einsicht ein Problem zu lösen, muss sich konzentrieren, aber zugleich an einem bestimmten Punkt des Prozesses, wenn sie sich beispielsweise festgefahren hat,
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