Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)
widmeten Kounios und Jung-Beeman ihre Aufmerksamkeit. Jung-Beeman begann sich für kreative Einsicht zu interessieren, als er zufällig eine ähnliche wissenschaftliche Spur verfolgte wie die, die Hughlings Jackson zur rechten Hirnhälfte geführt hatte. Jung-Beeman untersuchte die Eigenschaften der rechten Hirnhälfte bei Personen, die durch einen Schlaganfall oder Operationen Schädigungen einer Hirnhälfte davongetragen hatten. Er stellte fest, dass Patienten, deren rechte Hemisphäre operiert worden war, ihre Fähigkeit zu sprechen bewahrten und weiterhin Sprache verstanden, jedoch gravierende kognitive Probleme hatten. Insbesondere fiel es ihnen schwer, sprachliche Nuancen zu erfassen. Daraus schloss Jung-Beeman, dass die linke Hirnhälfte auf Denotation, also die primäre Bedeutung eines Wortes, spezialisiert ist, während sich die rechte Hirnhälfte mit der Konnotation, den mit einem Wort verknüpften Nebenbedeutungen, Metaphern und Folgerungen, auseinandersetzt. Indem Jung-Beeman den Gedankengang fortführte, den Hughlings Jackson und Goldberg angestoßen hatten, erklärte er die konnotativen Funktionen mit der Fähigkeit der rechten Hirnhälfte, weiter reichende Assoziationen zu verarbeiten. Diese Erkenntnis ließ ihn über zwei Möglichkeiten nachdenken, ein Rätsel zu lösen: entweder durch einen Moment kreativer Einsicht oder aber durch das methodische Prüfen möglicher Lösungen.
Zur gleichen Zeit begann auch Kounios, sich von einer kognitionspsychologischen Warte aus dem Problem der kreativen Einsicht zu nähern. Auch die Gestaltpsychologen waren von diesem Thema fasziniert. Wie erwähnt, ist eine plötzliche Erkenntnis vonnöten, um einige ihrer Figur-Grund-Probleme zu lösen: Erst nachdem das Gehirn zwei Bilder entdeckt hat, schaltet unsere Aufmerksamkeit in Alles-oder-Nichts-Manier – Aha! – vom einen Bild zum anderen um (Abb. 12-2 und Abb. 12-3).
Zu Beginn seiner Studien über Einsicht prüfte Kounios die Theorie, dass man Informationen auf zweierlei Weisen verarbeiten kann – kontinuierlich oder in einem einzigen Moment. Um zu bestimmen, ob eine Person spontan oder erst mit der Zeit eine präzise und endgültige Lösung für ein Problem findet, ermittelten Kounios und sein Kollege Roderick Smith die Geschwindigkeit, mit der Menschen Informationen aufnehmen. Sie stellten fest, dass Informationen tatsächlich entweder mit einem Mal oder kontinuierlich verarbeitet werden. Zudem zeichnet sich Einsicht gegenüber systematischem Problemlösen durch plötzliche Lösungen aus, die für separate Verarbeitung typisch sind. Indem sich Kounios und Smith also darauf konzentrierten, wie plötzlich eine Lösung auftauchte, entwickelten sie ein neues experimentelles Paradigma, mit dem sich eine mögliche Komponente der Kreativität, das Aha-Phänomen, erforschen ließ.
Die psychologischen Studien, die Kounios und Jung-Beeman unabhängig voneinander durchgeführt hatten, bewegten sie schließlich dazu, bei einer Reihe von Experimenten zusammenzuarbeiten. Jung-Beeman untersuchte den Aha-Moment anhand funktioneller MRT und Kounios nutzte zum gleichen Zweck die Elektroenzephalografie. Diese beiden Verfahren zum Messen der Hirnaktivität ergänzen einander perfekt: Elektroenzephalogramme (EEGs) geben genauer an, wann ein bestimmtes Ereignis stattfindet, können aber nicht genau angeben, wo; sie haben, mit anderen Worten, eine gute zeitliche, aber eine schlechte räumliche Auflösung. Bei funktioneller MRT ist es umgekehrt.
Jung-Beeman und Kounios konfrontierten ihre Versuchspersonen mit zahlreichen einfachen Problemen, die allesamt durch plötzliche Einsicht oder systematisches Vorgehen zu lösen waren. So präsentierten sie ihnen die drei Nomen crab (»Krebs«), pine (»Kiefer«) und sauce (»Soße«) und forderten sie auf, sich ein Wort zu überlegen, das sich mit allen drei Nomen kombinieren ließ und so ein geläufiges Kompositum ergab. Die Antwort lautete apple , was crabapple (»Holzapfel«), pineapple (»Ananas«) und applesauce (»Apfelmus«) ergab. Etwa die Hälfte der Teilnehmer fand die Lösung, indem sie systematisch verschiedene Kombinationen ausprobierte, während die andere Hälfte einen plötzlichen Geistesblitz hatte.
206 Gardner, H., Art, Mind, and Brain: A Cognitive Approach to Creativity , New York 1984, S. 321.
Abb. 30-1.
Durch fMRT aufgedeckter Ursprungsort einer Erkenntnis. In der rechten vorderen oberen temporalen Hirnwindung löst der Moment der Erkenntnis eine stärkere Aktivierung
Weitere Kostenlose Bücher