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Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition)

Titel: Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Kandel
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Künstlers. Als sie endete – Alma trieb ihr gemeinsames Kind ab, Kokoschka zerstörte eine Totenmaske Gustav Mahlers und Alma verließ ihn wegen des Architekten Walter Gropius –, verarbeitete Kokoschka seinen Kummer in einer Reihe von Selbstporträts und in Abbildungen seiner allegorischen Wiederbelebung der Beziehung mittels einer lebensgroßen, dreidimensionalen Alma-Puppe.

    Abb. 9-15.
Oskar Kokoschka, Selbstbildnis, eine Hand ans Gesicht gelegt (1918–1919).
Öl auf Leinwand.

    Abb. 9-16.
Oskar Kokoschka,
Selbstbildnis mit Geliebter (Alma Mahler) (1913).
Kohle und schwarze Kreide auf Papier.
    Während der Affäre malte sich Kokoschka in einem farbenfrohen Morgenmantel, der Alma gehörte und den er häufig beim Malen trug. In einem Selbstporträt sind seine Augen geöffnet und fragend, und der Blick des Betrachters wird auf seine große Hand gelenkt. Er ist ängstlich, fast entsetzt; dieser Eindruck wird durch dunkelgrüne Streifen im Hintergrund, die an ihn herandrängen, noch verstärkt (Abb. 9-15). In mehreren Doppelporträts der Liebenden (z. B. Abb. 9-16) ist Alma typischerweise ruhig, während Kokoschka zugleich passiv und aufgewühlt wirkt, als stünde er vor einem mentalen Zusammenbruch. In Die Windsbraut , dem eindrucksvollsten dieser Porträts, liegen Kokoschka und Alma in einem Boot, schiffbrüchig mitten im Ozean, von den Wogen ihrer stürmischen Beziehung hin- und hergeworfen. Sie schläft fest und er liegt, wie immer voll innerer Unruhe, starr neben ihr (Abb. 9-17). In diesem Gemälde verwendet Kokoschka dicke Farbe und dunkle Farbtöne und baut die Oberfläche des Bildes Schicht um Schicht auf, wodurch es Tiefe erhält und den Gefühlsaufruhr wiedergibt, in dem er sich befand. Die röteren und emotional aufgeladenen Farbtöne vermischen sich mit der gedämpften Färbung seiner Haut, während die grünen, erdigen Farbtöne Alma beleben.

    Abb. 9-17.
Oskar Kokoschka, Die Windsbraut (1914).
Öl auf Leinwand.

    Abb. 9-18.
Oskar Kokoschka, Selbstbildnis (1917).
Öl auf Leinwand.
    Im Selbstporträt von 1917 (Abb. 9-18) deutet Kokoschka mit der rechten Hand auf seine linke Brust. Die Traurigkeit, die aus seinem Gesicht und seinen Augen spricht, spiegelt nicht nur die Verletzung wider, die seinem Ego durch den drei Jahre zurückliegenden Verlust Alma Mahlers zugefügt wurde und die er immer noch nicht ganz verarbeitet hat, sondern auch eine körperliche Verwundung aus dem Krieg, einen Bajonettstich, der seinen linken Lungenflügel durchbohrte. Wie Rosa Berland bemerkt, drückt sich der Schmerz über diesen doppelten Verlust auch in dem erregten Farbauftrag aus sowie in dem kontrastierenden und bedrohlichen blauen Himmel im Hintergrund, der einen heraufziehenden Sturm ankündigt.
    In diesen Selbstporträts erkennen wir sowohl die bedeutenden stilistischen Anleihen, die Kokoschka bei van Gogh gemacht hat, als auch die Unterschiede zu ihm. Van Goghs vehemente Pinselführung und seine Verwendung willkürlicher, kühner Farben wurden von Kokoschka übernommen und modifiziert. 114 Wenn jedoch van Gogh einem Gefühlsaufruhr ausgesetzt war, so waren seine Versuche, dem Betrachter diesen Zustand zu vermitteln, sehr viel subtiler und gedämpfter. Das deutlichste Beispiel für diesen Unterschied liefert uns van Goghs außergewöhnliches Selbstporträt von 1889 (Abb. 9-19).

    Abb. 9-19.
Vincent van Gogh,
Selbstbildnis mit verbundenem Ohr und Pfeife (1889).
Öl auf Leinwand.
    Kurz vor Weihnachten 1888, nach einem erbitterten Streit mit seinem Freund Gauguin, schnitt sich der manisch-depressive van Gogh mit einem Rasiermesser ein Stück seines linken Ohres ab. Danach porträtierte er sich mit einem Verband über dem Ohr. Dieses Selbstporträt stellt den Künstler wohl am Tiefpunkt seines Lebens dar, doch van Gogh blickt ruhig und gefasst.
    KOKOSCHKAS IDEE, DASS HÄNDE UND GESTEN die Persönlichkeit verraten, zeigt sich noch deutlicher in seinen Gruppenporträts. Dort nutzt der Künstler nicht nur das Gesicht, sondern auch den Körper und insbesondere die »sprechenden Hände« als Ausdrucksmittel. Die Hände drücken durch auffällige Gesten Emotionen aus, und die Körperspannung verrät unbewusste Impulse – die seelische Anspannung wird sichtbar. In seiner Verwendung von Gesten wurde Kokoschka teilweise von den Statuen und Zeichnungen Rodins beeinflusst.
    In der Porträtmalerei werden traditionell Hände und Gesicht betont, aber Kokoschka ging mit Händen so um, wie Klimt die weibliche Sexualität behandelt hatte

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