Das Zeitalter der Fuenf 01 Priester
sagt... man sagt, du hilfst Menschen.«
Die Stimme klang leise und gepresst. Emerahl vermutete, dass dieses Mädchen nicht gern Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie schaute näher hin und erkannte die Anzeichen körperlicher Entwicklung bei dem Kind. Sie würde zu einer attraktiven Frau heranwachsen, wenn auch auf eine magere, knochige Weise.
»Du willst einen Mann bezaubern?«
Das Mädchen zuckte zusammen. »Nein.«
»Dann willst du einen Mann loswerden?«
»Ja. Nicht nur einen Mann«, fügte das Mädchen hinzu. »Alle Männer.«
Emerahl kicherte leise und ging die letzten Stufen hinunter. »Alle Männer, wie? Eines Tages wirst du vielleicht eine Ausnahme machen.«
»Das glaube ich nicht. Ich hasse sie.«
»Was ist mit deinem Vater?«
»Den hasse ich am meisten.«
Ah, diesem Mädchen erging es also wie allen Heranwachsenden. Aber als Emerahl am Fuß der Treppe angelangt war, sah sie eine wilde Verzweiflung in den Augen ihrer jungen Besucherin und wurde schlagartig ernst. Dies war kein verdrossenes, rebellisches Kind. Welchen unerwünschten Aufmerksamkeiten das junge Mädchen auch ausgesetzt sein mochte, sie machten ihm große Angst.
»Komm hierher zum Feuer.«
Emerahl deutete auf eine alte Bank, die sie lange vor der Ansiedlung der Menschen nach einem Schiffsunglück auf dem Strand unter den Klippen gefunden hatte.
»Setz dich.«
Das Mädchen kam ihrer Aufforderung nach. Emerahl ließ sich mit knirschenden Knien auf einen Stapel Decken sinken, die sie als Bett benutzte.
»Ich kann dir Tränke brauen, die einem Mann den Wind aus den Segeln nehmen, wenn du weißt, wovon ich spreche«, erklärte sie dem Mädchen. »Aber es ist gefährlich, einem Mann etwas davon zu verabreichen, und die Wirkung ist nicht von Dauer. Tränke dieser Art sind nutzlos, wenn du nicht weißt, was bevorsteht, und dir entsprechende Pläne zurechtlegen kannst.«
»Ich dachte, du könntest mich vielleicht hässlich machen«, erwiderte das Mädchen schnell. »So dass die Männer gar nicht erst in meine Nähe kommen wollen.«
Emerahl musterte das Mädchen eingehend, und ihre Besucherin senkte errötend den Blick.
»Hässlichkeit ist kein Schutz, wenn ein Mann betrunken und imstande ist, die Augen zu schließen«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Und wie ich bereits sagte, eines Tages wirst du vielleicht eine Ausnahme machen wollen.«
Das Mädchen runzelte die Stirn, schwieg jedoch.
»Ich nehme an, dort unten findet sich niemand, der bereit wäre, deine Tugend zu verteidigen, sonst wärst du nicht zu mir gekommen«, fuhr Emerahl fort. »Also werde ich dich lehren, es selbst zu tun.«
Sie griff nach einer Kette um ihren Hals und zog sie sich über den Kopf. Das Mädchen hielt den Atem an, als sie den Anhänger daran baumeln sah. Es war ein schlichter, gehärteter Tropfen Saft von einem Dembar-Baum. Im Licht des Feuers schimmerte er in einem dunklen Orangeton. Emerahl hielt die Kette auf Armeslänge von sich weg.
»Schau genau hin.«
Mit weit aufgerissenen Augen gehorchte das Mädchen.
»Lausche meiner Stimme. Ich möchte, dass du den Blick auf diesen Tropfen gerichtet hältst. Schau hinein. Sieh dir die Farbe an. Und sei dir gleichzeitig der Wärme des Feuers neben dir bewusst.« Emerahl sprach weiter, wobei sie das Gesicht des Mädchens sorgfältig beobachtete. Als die Abstände, in denen ihre Besucherin blinzelte, länger wurden, bewegte sie einen Fuß. Die Augen, die auf den Anhänger blickten, bewegten sich nicht. Emerahl nickte leicht und befahl dem Mädchen, nach dem Tropfen zu greifen. Langsam streckte das Mädchen die Hand aus.
»Jetzt halte inne, genau dort, nahe dem Tropfen, aber ohne ihn zu berühren. Spüre die Wärme des Feuers. Kannst du die Wärme spüren?«
Das Mädchen nickte langsam.
»Gut. Jetzt stell dir vor, du würdest Wärme aus dem Feuer ziehen. Stell dir vor, dein Körper sei erfüllt von seiner sanften Wärme. Kannst du Wärme spüren? Ja. Jetzt sende diese Wärme in den Tropfen.«
Sofort begann der Saft zu leuchten. Das Mädchen blinzelte, dann starrte es voller Staunen auf den Anhänger. Das Leuchten verebbte wieder.
»Was ist passiert?«
»Du hast soeben ein wenig Magie benutzt«, erklärte Emerahl. Sie ließ den Anhänger sinken und legte sich die Kette wieder um.
»Ich habe Gaben?«
»Natürlich hast du die. Jeder Mann und jede Frau haben Gaben. Die meisten haben nicht mehr, als man braucht, um eine Kerze zu entzünden. Du jedoch verfügst über stärkere Gaben.«
Die Augen des Mädchens
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