Das Zeitalter der Fuenf 02 Magier
die heilte. Auraya, die flog. Auraya, die redete, diskutierte, lachte. Während er den Aufstieg fortsetzte, sah er die Vergangenheit, sowohl die fernere wie auch die jüngere. Er erinnerte sich an ihre Gespräche über einen Frieden zwischen Traumwebern und Zirklern und verspürte Respekt vor ihr. Er rief sich die komischen Situationen ins Gedächtnis, da sie beide mit Unfug gespielt hatten, und er verspürte Zuneigung zu ihr. Er stellte sie sich mächtig und stark vor und verspürte Ehrfurcht und Stolz. Er sah sie fliegen und... erinnerte sich an einen Verdacht, den diese Fähigkeit einmal in ihm geweckt hatte. Diese Überlegung lenkte ihn beinahe von seinem Ziel ab, aber er zwang sich, den Gedanken beiseitezudrängen. Wenn er dies richtig machen wollte, durfte er sich nur die Erinnerung an jene Augenblicke geteilter Nähe gestatten, wie zum Beispiel die Erfahrung von Intimität, von Freude und beiderseitiger Entdeckung, von tieferen Empfindungen, von einem Gefühl der Zugehörigkeit, von dem Wunsch, nirgendwo anders zu sein. Von Vertrauen.
Von Liebe.
Er stand jetzt auf dem Gipfel des Hangs, atemlos vor Erschöpfung und von dem gleichzeitig erschreckenden und berauschenden Begreifen der Wahrheit.
Ich verstehe. Emerahl hatte recht, und doch hatte sie ebenso unrecht. Indem er zu Leiard geworden war, hatte er keine neuen Eigenschaften für sich selbst erschaffen. Nein, er hatte lediglich jene Regungen ausgeschlossen, von denen er glaubte, dass sie für andere am deutlichsten zu erkennen sein würden. Indem er das getan hatte, hatte er andere Gefühle freigelassen, Gefühle, die er jahrelang beiseitegedrängt hatte. Leiard ist ich. Ich bin Leiard. Er ist das, wozu ich geworden bin, als ich jene Teile meines Selbst unterdrückte, die einst Gefühle bargen, die ich für gefährlich hielt. Gefühle wie Liebe.
Gefühle, denen er zu misstrauen gelernt hatte. Die Liebe hatte ihm - einem Unsterblichen in einer Welt Sterblicher - stets nur endlosen Schmerz gebracht. Indem er zu Leiard geworden war, hatte er sich wieder in die Lage gesetzt zu lieben.
Ich bin Leiard. Leiard ist ich. Er presste seine Hände auf die Wangen. Ich liebe Auraya.
Die Ironie entlockte ihm ein bitteres Lachen. Jahrhunderte zuvor hatte er eine harte Mauer um sein Herz errichtet, um zu verhindern, dass er sich abermals in eine sterbliche Frau verliebte, die dazu verurteilt war zu sterben. Jetzt hatte er sich in eine Unsterbliche verliebt. In eine außerordentliche, schöne, intelligente Zauberin mit erstaunlichen Gaben, die seine Liebe einmal erwidert hatte.
»Aber sie ist eine verfluchte Hohepriesterin der Götter!«, schrie er.
Der Klang seiner Stimme riss ihn aus der Trance heraus, zurück in seine gegenwärtige Umgebung. Er sog scharf die Luft ein.
Du hast gesagt, dass es schmerzlich werden würde, bemerkte er zu Leiard.
Es kam keine Antwort. Vielleicht spielte Leiard ihm einen kleinen Streich. Er wartete noch ein Weilchen länger. Nichts.
Vielleicht ist er fort. Er schüttelte den Kopf. Nein. Er ist nicht fort, aber er ist nicht länger getrennt von mir, ebenso wenig wie ich getrennt von ihm bin.
Er sah sich um, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Er konnte nichts anderes tun, als weiterzugehen. Allein. Ein Stich des Bedauerns durchzuckte ihn. Irgendwie wusste er, dass er nichts mehr von Leiard hören würde.
Ich glaube, ich werde ihn vermissen. Ich kann Auraya nicht haben, und jetzt habe ich auch Leiard nicht mehr, mit dem ich reden könnte.
Der Gedanke daran hätte komisch sein sollen, doch stattdessen hinterließ er nur ein leeres, trauriges Gefühl in Mirar.
In den obersten Räumen des Weißen Turms ging Juran rastlos auf und ab. Wann immer er an den Fenstern vorbeikam, schaute er auf die Stadt hinunter. Er versuchte schon lange nicht mehr, sich im Geist ein Bild von Jarime zu bewahren, wie es zu Anfang ausgesehen hatte oder zu unterschiedlichen Zeiten während der vergangenen hundert Jahre. Er mochte körperlich nicht altern, aber sein Gedächtnis ließ ihn ebenso oft im Stich wie einen Sterblichen.
Und genau das war der Quell seines jetzigen Dilemmas.
Ich kann mich nicht erinnern, sagte er. Es ist zu lange her. Es ist so, als wollte ich versuchen, mich daran zu erinnern, wie die Dienstmagd meiner Eltern ausgesehen hat - und ich bin ihr wahrscheinlich tausend Mal öfter begegnet als Mirar zu dessen Lebzeiten. Warum willst du, dass ich mich daran erinnere, wie er aussah?
Es ist nur ein Verdacht. Entweder, Mirar ist noch am
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