Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
etwas sagen, wenn der Junge vor seiner Tür stand.
John polterte durch die Wohnung, während D. L. und Ben schweigend aßen. Sie waren bereits fertig, als er frisch geduscht, glatt rasiert und in einem sauberen Jogginganzug auftauchte, von dem Ben dachte, er hätte ihn längst weggegeben.
»Ich hab meine Reisetasche irgendwo verloren«, brummte John.
»Du hast sie dir klauen lassen«, sagte Ben.
»Soll ich ein paar Sachen besorgen?«, fragte D. L. »Ich denke da an Zahnbürste, Unterhosen, Socken … wenn du mir deine Größe verrätst? Vielleicht auch ein paar Klamotten?«
Ben sah, wie sich D. L. schon im Kopf eine Einkaufsliste zusammenstellte. Selbst, wenn er die Schule nicht schaffen sollte – so wenig Begeisterung, wie er in dieser Hinsicht an den Tag legte, war das durchaus eine Option –, würde er clever genug sein, um einen Job zu finden. Vielleicht musste man sich um D. L. keine Sorgen machen, trotz allem.
John schickte den Jungen mit Bens Geld einkaufen und stocherte in seinem Frühstück herum.
»Mutter geht nicht ans Telefon«, sagte Ben.
»Glaub ich«, sagte John.
»Was ist los?«
»Nichts.«
Er sah weiter zu, wie sein Vater das Essen herumschob.
»Netter Abend, gestern«, sagte John. Sie hatten Fernsehen geschaut, zu viele Chips gegessen, zu viel Bier getrunken und über alles geredet: Fußball, das Wetter, D. L.s Schule, die Hauspreise in Großbritannien, David Cameron und Nick Clegg, ob man bei Morrisons oder bei Tesco besser einkaufen konnte, wohin sie auswandern würden, wenn sie auswandern würden. Je mehr Bier sie getrunken hatten, desto absurder wurden die Themen, aber nie sprachen sie darüber, was John eigentlich in Edinburgh machte.
»Ja, nett«, sagte Ben und wartete ab.
John piekte lustlos ein Stück Tomate auf seine Gabel und starrte es an. »Wie lange hast du noch Urlaub?«
»Die ganze Woche.«
»Und, was hast du vor?«
»Ausschlafen. Aufräumen. So was.«
Sein Vater brummte und ließ die Gabel sinken.
»Willst du was anderes?«
»Nein, alles gut.«
Sie schwiegen wieder eine Weile. John sah weiter mit aufgerissenen Augen aufs Essen, als wollte er es hypnotisieren. Oder mit seinem Blick in Brand setzen.
»Der Junge«, sagte er irgendwann so unvermittelt, dass Ben auf seinem Stuhl hochschreckte und sich fragen musste, ob er kurz eingenickt war. »Der Junge, der hat doch Familie? Ich meine, warum hängt er bei dir rum?«
Fast hätte Ben gesagt: »Du hast auch Familie und hängst bei mir rum.« So wenig fühlte er sich zugehörig.
»Und Freunde in seinem Alter«, fuhr John fort. »Von der Schule oder so. Was macht er hier?«
»Er hängt normalerweise mit seinen Freunden rum. Vielleicht sind die nicht weggekommen wegen dem Wetter. Oder er wollte nicht raus.«
»Und warum war er dann nicht bei seinen Eltern?«
Ben hob die Schultern. »Interessiert dich das wirklich?« Er versuchte, gelangweilt zu klingen, um seinen Vater vom Thema abzubringen.
John schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ja, verdammt! Hat der Junge denn keine Eltern, die wissen wollen, wo er sich rumtreibt?« Er schob den Teller so heftig von sich weg, dass das Besteck vom Tisch fiel. Ben packte den Teller, bevor er in seinem Schoß landete.
»Ihr wart auch nie besonders daran interessiert, wo wir uns rumgetrieben haben.«
»Ja«, sagte John leise. »Und deine Brüder wissen nicht mal, welche von den Kindern, mit denen ihre Freundinnen nach Hause kommen, von ihnen sind. Haben wir euch wirklich so erzogen?«
»Woher die späte Einsicht?«
John ging nicht darauf ein. »Also, was ist jetzt mit dem Jungen? Warum steht nicht sein Vater spätestens um Mitternacht vor der Tür und jagt ihn ins Bett?«
»Weil er seit zwei Monaten tot ist.«
»Scheiße.«
»Ja.«
»Krank?«
»Selbstmord.«
»Scheiße.«
»Ja.«
Sie schwiegen. Standen irgendwann auf und räumten herum. Geschirr abspülen. Wäsche waschen. John ging Ben zur Hand, als hätte er nie was anderes getan, und es brauchte kaum ein Wort zwischen den beiden. Trotzdem konnte Ben die Mauer, die sie trennte, vor sich sehen.
Als D. L. zurückkam und John im Wohnzimmer stolz seine Ausbeute zeigte, verzog sich Ben in die Küche und aß das kalt gewordene Frühstück seines Vaters, checkte Mails auf seinem Smartphone. Die Kollegen ließen ihn in Ruhe. Fiona, seine On-Off-Beziehung, hatte ihm geschrieben. Er überflog die Mail, lächelte, schrieb eine kurze Nachricht zurück – dass er sie vermisste, dass sein Vater zu Besuch war, dass er
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