Das zerbrochene Siegel - Roman
Burggraf sein Haus.
Eine Pest mit diesem Weib, dachte er verärgert und grübelte darüber nach, wie er diesen unwillkommenen Gast in seinem Haus auf dem schnellsten Wege loswerden konnte, ohne sich des Totschlags schuldig zu machen.
Auch fand er es eigenartig, dass Eltrudis ihm nichts von ihrer Bekanntschaft mit Agilbert von Flonheim gesagt hatte, nachdem sie vom Tod seines Sohnes gehört hatte. Sie war doch sonst so gesprächig. Ob sie mehr vom Vater wusste, als sie zugegeben hatte? Die Vorstellung, womöglich auf einen dunklen Fleck im Gewand der reputierlichen Tante zu stoßen, entlockte ihm ein Grinsen.
Der Burggraf sah Bruder Goswin just den Pfalzhof überqueren, als er den Platz erreichte. Wie üblich hatte es der Scholasticus eilig. Mit gesenktem Kopf und einer Robe, die zerknittert an seinem mageren Leib herabhing, bahnte er sich seinen Weg durch die Menge. Kaufleute, Bauern, Edelleute und Pilger überquerten den Platz, an den Armen vorbei, die vor der Bischofspfalz um Almosen bettelten. Manche hatten es eilig, andere standen in Grüppchen beieinander, um Neuigkeiten auszutauschen, während Tagelöhner und Hörige des Bischofs prallgefüllte Säcke zur Bischofspfalz schleppten.
Wo so viel Umtriebigkeit herrschte, waren auch die Beutelschneider nicht fern, und Bandolf ließ seinen Blick wachsam über den Platz gleiten. Am Brunnen sah er den einbeinigen Fortunatus sitzen und warf ein Almosen in seine Bettelschale, während er dem Scholasticus einen Gruß zurief. Bruder Goswin hob den Kopf und winkte ihm zu.
»Ist es Euch jemals in den Sinn gekommen, dass Ihr Eure
Gutherzigkeit stets an denselben Einbeinigen verschwendet?«, begrüßte er Bandolf, als sie in der Mitte des Platzes aufeinandertrafen.
»Was ist Gott gefälliger, Bruder: Wenn man einem viel oder vielen wenig gibt?«
»Eine interessante These, Burggraf. Wir sollten bei einem Becher Wein darüber debattieren.«
Bandolf lachte. »Lieber nicht.« Er beugte sich zu Bruder Goswin hinunter und sagte leise: »Fortunatus hat ein Bein verloren. Nicht aber seine Augen und Ohren.«
»Der Bettler spioniert für Euch?«
»Aber nein, Bruder. Hin und wieder bekommt er ein Zubrot, und hin und wieder erzählt er mir eine Geschichte.«
Bruder Goswin schüttelte lachend den Kopf.
»Habt Ihr es eilig?«, erkundigte sich Bandolf. »Ich war auf dem Weg zum Domstift und wollte mit Euch sprechen.«
»Ihr seht mich in Erfüllung einer lästigen Pflicht, Burggraf, daher kann sie warten.« Achtlos fuhr Bruder Goswin mit den Fingern durch sein borstiges Haar, das daraufhin nach allen Richtungen abstand. »Ich nehme an, Ihr kommt wegen des Toten vor Eurer Türschwelle?«
»Dann wisst Ihr schon Bescheid?«
»Pater Egidius hatte gestern noch keine Kerzen für Ulberts Leichnam in seinem Beinhaus aufgestellt, als unser geschätzter Kämmerer bereits eine Nachricht zu Bischof Adalbero nach Lorsch schickte.«
»Verdammnis!«, knurrte Bandolf. »Das hätte ich mir denken können.«
Während der Kämmerer des Domstifts für Angelegenheiten zuständig war, die den Besitz und die Angehörigen der Wormser Kirche betrafen, war der Burggraf für alle Belange der freien Bürger verantwortlich. Gelegentlich überschnitten sich die Kompetenzen der beiden Männer - ein Umstand, der dem ehrgeizigen Kämmerer ein ständiger
Dorn im Auge war. Wenn ihm eine Gelegenheit in den Schoß fiel, den Burggrafen in Misskredit zu bringen, konnte man sich darauf verlassen, dass er sie zu nutzen wusste.
»Ich glaube trotzdem nicht, dass der Bischof stehenden Fußes hierhereilen wird«, meinte Bruder Goswin.
»Der Leibesumfang Seiner Eminenz gestattet ihm nicht, jemals irgendwohin zu eilen«, bemerkte Bandolf trocken. »Das muss er aber auch nicht. Es reicht völlig aus, wenn er vor den Fürsten das eine oder andere Wort fallen lässt. Und Ihr wisst selbst so gut wie ich, dass der Bischof das in jedem Fall tun wird, sobald er von einem Toten in meinem Haus hört.«
»Es geht das Gerücht, Ulbert von Flonheim sei ermordet worden. Ist es wahr?«, wollte Goswin wissen.
»Leider ist es das«, bestätigte der Burggraf. »Der einzige Lichtblick in der Angelegenheit ist, dass er höchstwahrscheinlich nicht in meinem Haus ermordet wurde. Die Heilerin sagt, der Stich hätte ihm gut und gerne geraume Zeit vorher verabreicht werden können, bevor er mein Haus betrat.«
»Die Heilerin?« Bruder Goswin zog die Brauen hoch. »Mir wäre wohler, Ihr hättet Euch den Rat unseres Bruder Apothekers
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