Das zerbrochene Siegel - Roman
Pothinus ist natürlich bemüht, dem Abgesandten des Königs unser Stift im strahlendsten Licht erscheinen zu lassen, da kam ihm der Vorfall heute Nacht im Kapitelhaus überhaupt nicht gelegen.«
»Kilian scheint mir noch recht jung zu sein für einen Abgesandten«, bemerkte Bandolf.
Bruder Goswin lächelte. »Kilian stand in den Diensten Adalberts von Bremen. Ich vermute, das macht den jungen Mönch für unseren König vertrauenswürdig. Besonders nach den unglückseligen Ereignissen in Tribur.«
Im Januar war es einer Gruppe von Fürsten gelungen, Erzbischof Adalbert von Bremen, den Mentor und Günstling König Heinrichs, zu stürzen. Für den blutjungen König hatte der Verlust seines Ratgebers eine empfindliche Einbu ße seiner ohnehin noch nicht gefestigten Macht bedeutet, wogegen die Fürsten, allen voran der Erzbischof von Köln und der Herzog von Schwaben, wieder fest im Sattel saßen. Als Bruder des Schwabenherzogs gehörte auch der Bischof von Worms zum Klüngel jener ehrgeizigen Fürsten, die das Reich in ihrem Sinne zu regieren trachteten. Mit dem Sturz Adalberts von Bremen im Januar waren sie diesem Ziel ein gutes Stück näher gerückt.
»Tribur«, sagte Bandolf gedehnt. »Nach allem, was im
letzten Herbst geschehen ist, hätte ich erwartet, dass Adalbert von Bremen mehr auf der Hut ist.«
Bruder Goswin zuckte mit den Schultern. »Ich fürchte, es hätte ihm nichts genutzt. Die Macht der Fürsten ist noch immer größer als der Wille König Heinrichs.«
Einen Moment lang verweilte Bandolf noch bei dem blutjungen König, der sich vergeblich gegen seine Fürsten zu behaupten suchte, seit er im letzten Jahr seine Mündigkeit erreicht hatte. Dann schob er den Gedanken beiseite und kam auf sein ursprüngliches Anliegen zurück.
»Kanntet Ihr Ulbert von Flonheim?«
»Kennen wäre zu viel behauptet«, antwortete Bruder Goswin nachdenklich. »Ich weiß, dass er schon einige Male in Worms gewesen ist, doch kannte ich ihn nicht näher. Aber Ihr solltet meinen Gehilfen nach ihm fragen, wenn er wieder zurück ist.«
»Euren Gehilfen?«
»Bruder Bartholomäus ist mit Ulbert verwandt gewesen. Der junge Mann hat ihn hin und wieder aufgesucht, wenn er in Worms war.« Nachdenklich runzelte der Scholasticus die Stirn. »Wenn ich mich recht entsinne, dann war Ulbert sogar erst vorgestern bei Bruder Bartholomäus.«
Also, das ist der ominöse Vetter, den Annalinde vergaß zu erwähnen, ging es Bandolf durch den Kopf. Laut fragte er: »Was wollte er von Bruder Bartholomäus?«
Goswin lachte: »Das weiß ich nun wirklich nicht. Wir nahmen gerade unser Mittagsmahl im Refektorium, als der Pförtner Bartholomäus Bescheid gab, sein Vetter stehe drau ßen und wolle ihn sprechen. Bruder Bartholomäus bat den Kämmerer um Erlaubnis, die Tafel verlassen zu dürfen und war noch nicht zurück, als wir unsere Mahlzeit beendeten. Als ich dann aber ins Skriptorium zurückkehrte, fand ich ihn dort schon an seinem Pult stehen.«
»Ihr sagtet, Bartholomäus sei fort?«
»Bruder Pothinus schickte ihn gestern Morgen mit einem Auftrag zu einer unserer Hufen. Er wird frühestens in zwei Tagen wieder hier sein«, antwortete der Scholasticus.
»Verdammnis«, knurrte der Burggraf. »Dann erzählt mir, was Ihr über Ulbert von Flonheim wisst.«
Offenbar hatte der junge Edelmann die meiste Zeit seines Lebens auf dem kleinen Lehen verbracht, das ihm nach dem Tod seines Vaters bestätigt worden war. Weder der Vater noch der Sohn schienen in der Bewirtschaftung des Gutes Geschick bewiesen zu haben, daher hatte Agilbert von Flonheim seinen Sohn mit der Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns vermählt. Wie Goswin berichtete, nahm Ulbert es seinem Vater übel, dass er ihn unter Stand vermählt hatte, was ihn jedoch nicht daran hinderte, Annalindes Mitgift in ritterlichem Prunk anzulegen. Offenbar hatte Ulbert von Ruhm und Ehre geträumt. Da er sich jedoch von der Verpflichtung freigekauft hatte, in den Schlachten des Reiches zu kämpfen, war zu vermuten, dass sich sein Streben nach ritterlichem Ruhm auf das Tragen eines teuren Schwertes beschränkt hatte.
»War er verschuldet?«, fragte Bandolf.
»Darüber weiß ich nichts. Das solltet Ihr die Witwe oder Ulberts Hausmeier fragen.«
»Als ich Ulbert fand, trug er einen Beutel mit Silbermünzen bei sich. Wenn er Schulden hatte, dann war er vielleicht unterwegs, um sie zu begleichen«, meinte Bandolf. Dann fragte er, ob Bruder Goswin einen Mann kannte, der Garsendes Beschreibung von dem
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