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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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Vortag, das Filiberta angesichts der frühen Stunde auf den Tisch gestellt hatte. »Es ist mitten in der Nacht. Der Schlaf steckt mir noch in den Gliedern, und mein Magen knurrt. So lässt sich nicht gut denken. Greift zu. Ihr müsst doch auch hungrig sein?«

    Goswin lehnte ab. »Es ist Fastenzeit«, bemerkte er.
    »Aber noch vor Sonnenaufgang«, widersprach der Burggraf kauend.
    »Eine eigenwillige Auslegung, Burggraf.« Ein Lächeln huschte über Goswins hagere Züge, doch während Bandolf hastig sein ausgefallenes Frühstück hinunterschlang, trommelte der Scholasticus ungeduldig mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.
    »Nun, was meint Ihr?«, wollte er wissen, als Bandolf den Braten, um einiges dezimiert, beiseiteschob.
    Der Burggraf gab keine Antwort. »Erzählt mir, was für ein Mensch Euer Schreiber ist. Was wisst Ihr über ihn?«, fragte er stattdessen.
    »Er ist ein stiller Mann, bar jeglichen Ehrgeizes, zurückhaltend und in sich gekehrt«, meinte Bruder Goswin nach einer Weile. »Es mag wohl auch an seinem Äußeren liegen, dass er vermeidet, sich in den Vordergrund zu drängen. Als Kind überlebte er die Blattern und hat viele Narben davon zurückbehalten. Eigentlich solltet Ihr ihm das eine oder andere Mal schon selbst begegnet sein.«
    In Bandolfs Gedächtnis regte sich die Erinnerung an einen Mann in mittleren Jahren, magerer noch als der Scholasticus, und allmählich formte sich ein zerfurchtes Gesicht mit mausbraunen Augen und schütterem Haar vor seinem inneren Auge.
    »Und seine Aufgaben?«
    »Bartholomäus’ Begabung liegt weniger darin, einer Schrift Form und Schönheit zu geben, sondern mehr in seinem vortrefflich aufmerksamen Auge. Daher ist seine hauptsächliche Aufgabe, die Abschriften der anderen nach Fehlern zu durchsuchen. Hin und wieder schreibt er auch die Exempel. Musterseiten, die einem Schreiber vorgeben, wie die Schrift des Textes gestaltet werden sollte, welche Linien er beachten muss und wie groß die Buchstaben sein
sollen. Gelegentlich mischt er aber auch Tinten an und beweist besonderes Geschick im Hantieren mit Mennige und Zinnober, welches wir zum Röten der Schrift benutzen.« Goswin seufzte. »Ich habe noch nie gehört, dass er über eine Arbeit gemurrt hätte, unehrlich gewesen wäre oder auch nur eine Regel gebrochen hätte. Darum ist mir sein Handeln völlig unverständlich.«
    »Haltet Ihr ihn für fähig, einen Mord zu begehen?«
    »Jesus Christus!« Bruder Goswin bekreuzigte sich. »Warum, in Gottes Namen, fragt Ihr mich das?«
    »Weil Bruder Bartholomäus Schreiber ist, und alles, was im Moment hier geschieht, mit einem Schriftstück zusammenzuhängen scheint«, erklärte Bandolf mit finster zusammengezogenen Brauen. »Wenn es sich also um ein kostbares Schriftstück handelte, glaubt Ihr, das wäre für Euren Schreiber Grund genug, zum Kain an Ulbert von Flonheim zu werden?«
    Entsetzt starrte Bruder Goswin ihn an. »Ihr denkt doch nicht, Bruder Bartholomäus hätte seinen Vetter niedergestochen?«
    »Haltet Ihr ihn dessen für fähig?«, beharrte Bandolf.
    Nachdenklich legte Bruder Goswin den Kopf schief. »Jedermann ist wohl fähig zu morden«, sagte er nach einer Weile. »Aber ich müsste mich sehr täuschen, würde Bartholomäus um der Habgier willen morden. Nein, mein Lieber, lästige Stechmücken im Sommer sind gewiss die einzigen Leichen, die man dem Bruder anlasten könnte.« Mit einem tiefen Seufzen stand er auf. »Ich muss aufbrechen. Es wird mir ohnehin schon eine Rüge einbringen, dass ich mich nach der Matutin davongestohlen habe. Zur Laudes will ich mich nicht auch noch verspäten.«
    »Zu dieser Stunde solltet Ihr nicht allein unterwegs sein«, entschied der Burggraf. »Ich werde Euch begleiten.«
Worms lag noch in tiefem Schlummer, als die beiden Männer mit ihren Laternen die Hachgengasse in Richtung Marktplatz hinaufstapften. Das Gezwitscher einer sehr frühen Meise begleitete sie ein Stück des Wegs, und hin und wieder drang das Klappern eines schlecht verschlossenen Verschlags auf die Gassen, doch sonst herrschte nächtliche Stille.
    Bandolf war in Gedanken um den abwesenden Schreiber vertieft und versuchte, Bartholomäus’ Verschwinden jenen Strohhalmen zuzuordnen, die er mittlerweile über Ulberts Tod gesammelt hatte. Ein knirschendes Geräusch in seinem Rücken veranlasste ihn, über seine Schulter zu spähen, doch in der dunklen Gasse rührte sich nichts.
    »Mit jenem wertvollen Schriftstück, das Ihr vorhin erwähntet, meintet Ihr damit

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