Das zerbrochene Siegel - Roman
Schandpfahl«, brummte der Burggraf.
»Das sagt Ihr dem Bruder Scholasticus am besten selbst«, erwiderte seine Gattin kühl.
»Bruder Goswin ist hier?«
»Er erwartet Euch unten«, wiederholte Matthäa.
Als der Burggraf einige Zeit später in die Halle trat, saß der Bruder Scholasticus allein, mit einem Krug verdünntem Bier vor sich, an Bandolfs Tafel. Herwald und Werno hatten sich nicht stören lassen und lagen noch schlafend um das Herdfeuer, während die junge Hildrun mit mürrischem Gesicht das Feuer schürte und Filiberta mit Kelle und Kochlöffel klapperte. Matthäa war oben geblieben, um ihre Tante zu beschwichtigen, die ebenso verschlafen wie der Burggraf aus ihrer Kammer getaumelt war und wissen wollte, ob man in diesem Haus denn niemals zur Ruhe käme und was, bei allen Heiligen, denn nun schon wieder geschehen sei.
»Ich vermute, Ihr seid nicht gekommen, um mir eine Abschrift der Epitome des Julius Valerius über Alexander zu bringen?«, meinte Bandolf, als er sich gegenüber dem Dombruder schwer auf die Bank sinken ließ. Umständlich kramte er seinen Becher aus einem Beutel, der an seinem Gürtel hing, und schenkte sich ein. Dann trank er einen
langen Schluck, um den schlechten Geschmack aus seinem Mund zu vertreiben.
»Ich wünschte, dem wäre so«, erwiderte Goswin mit einem betrübten Lächeln. »Ich bin wegen Bruder Bartholomäus hier.«
»Ulberts Vetter?«
Bruder Goswin nickte. »Er ist verschwunden.«
Bandolf runzelte die Stirn. »Ich glaubte, er sei mit einem Auftrag des Kämmerers unterwegs?«
»Das glaubte ich auch. Doch nun stellt sich heraus, dass Bruder Bartholomäus uns belogen hat.«
Bandolfs Stirnrunzeln vertiefte sich. Seine Schläfrigkeit war mit einem Mal verflogen. »Was soll das heißen?«
»Am Tag nach dem Frühlingsfest kam Bruder Bartholomäus vor der Terz zu mir und erklärte, ich müsse in den nächsten Tagen ohne ihn auskommen. Der Bruder Kämmerer hätte ihm Order gegeben, auf einer unserer Hufen im Odenwald nach dem Rechten zu sehen. Ich hatte mich noch gewundert, warum Bruder Pothinus ausgerechnet meinen Schreiber dazu benötigt, da solche Dinge nicht zu seinen Aufgaben gehören. Doch ich ließ es dabei bewenden. Als wir uns heute zur Matutin versammelten, fragte mich Bruder Pothinus plötzlich, wann man denn Bartholomäus aus Lorsch zurückerwarten dürfe. ›Lorsch?‹, fragte ich. ›Ich dachte, Bartholomäus sei im Odenwald.‹ Worauf Bruder Pothinus meinte …« Goswin unterbrach sich selbst mit einer ungeduldigen Geste. »Wie dem auch sei: fest steht, dass Bartholomäus dem Kämmerer sagte, er müsse in meinem Auftrag nach Lorsch reisen, während er mir gegenüber behauptete, der Kämmerer würde ihn in den Odenwald schicken. Keines von beidem entspricht der Wahrheit. Und nun ist Bartholomäus noch immer nicht zurückgekehrt, und wir wissen nicht, wo er steckt. Bruder Pothinus hat sogleich zwei Boten ausgeschickt, die in Lorsch und bei unserer
Hufe nach ihm suchen sollen. Doch ich verwette meine beste Tinte darauf, dass er dort nicht zu finden sein wird.«
Schweigend hatte Bandolf zugehört. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Ulbert von Flonheim war am Tag des Frühlingsfestes bei seinem Vetter Bartholomäus gewesen. Am nächsten Morgen war Ulbert tot, und Bartholomäus machte sich mit einer List aus dem Staub. Aber wieso? Hatte Bruder Bartholomäus seinen Vetter umgebracht und war dann aus Angst vor Entdeckung geflohen? Gab es irgendeinen Zusammenhang zwischen Bartholomäus’ Verschwinden und Arnolds hastiger Abreise aus Worms? Und wer, zum Teufel, war jetzt im Besitz dieses vermaledeiten Schriftstücks?
»Ich bin sehr in Sorge, Burggraf«, sagte Goswin in Bandolfs Gedanken hinein. »Das alles will so gar nicht zu Bruder Bartholomäus passen. Ich befürchte, sein heimliches Verschwinden hat womöglich mit dem Tod seines Vetters zu tun. Deshalb bat ich auch Bruder Pothinus, sich an Euch zu wenden. Doch der Kämmerer ist fuchsteufelswild, weil Bartholomäus es gewagt hat, ihn zu hintergehen. Er hat mir verboten, auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.«
»Er wird noch wütender sein, wenn er erfährt, dass Ihr schnurstracks zu mir gekommen seid.«
Den Zorn des Kämmerers tat Goswin mit einem Schulterzucken ab. Angespannt beugte er sich vor und sah den Burggrafen fragend an. »Ergibt Bartholomäus’ Verschwinden für Euch irgendeinen Sinn?«
»Gnade, Bruder«, stöhnte der Burggraf und griff nach Brot und kaltem Fleisch vom
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