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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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es ein frostiger Morgen. Eine kühle Brise wehte die vielfältigen Gerüche der Stadt an Bandolfs Nase. Es roch nach den scharfen Beizen der Gerber, Färber und Abdecker, deren Handwerk und deren Hütten bachabwärts an den äußersten Rand der Stadt verbannt worden waren. Der Gestank mischte sich mit dem Geruch nach Trester, Viehdung und anderen Abfällen, die den aufgeweichten Boden zum schlierigen Morast machten. Doch ganz schwach schmeckte der Burggraf auch schon den Duft von Gebrutzeltem aus den Schankstuben auf den Lippen, und seine Stimmung hob sich. Mochten die Pfaffen die Stadt auch als Sündenpfuhl verschreien, und mochten sich die Edelleute über Gestank und lärmendes Klopfen, Hämmern und Schlagen aus den Werkstätten bei ihm beschweren, wenn sie zu Hof- und Festtagen in die Stadt strömten - hier in Worms herrschte das Leben.

    Stiftsherren eilten mit hochgeschlagenen Kapuzen ihrer dicht gewobenen Winterroben durch die Gassen, während Tagelöhner und Knechte sich an ihrer Arbeit und der Aussicht auf eine heiße Suppe zur Sext erwärmen mussten. Einige Edeldamen trotzten der Kälte mit pelzverbrämten Umhängen, um nach der Messe müßig durch die Stadt zu schlendern und sich am neuesten Klatsch zu ergötzen. Pilger zogen mit frommen Gesängen auf den Lippen durch die Gassen, den Stiftskirchen zu, um des Segens ihrer kostbaren Reliquien teilhaftig zu werden.
    Handkarren und Fuhrwerke der Bauern, Kaufleute, die um einen Preis für ihre Ware schacherten, Streuner und Tagediebe, die sich hastig um die nächste Ecke drückten, wenn sie den Burggrafen sahen, belebten die Gassen ebenso wie spielende Kinder und Schweine, die im Unrat vor den Häusern wühlten.
    Im letzten Jahr hatte Bandolf beim Bischof das Verbot für Gerber und Färber durchgesetzt, ihre Beizwässer auf den Plätzen auszuleeren und das Auswaschen von Unrat in den Brunnen zu untersagen. Ebenso hatte er vorgeschlagen, die Unsitte der Leute mit einer Buße zu belegen, Asche, Bauschutt, Tierkadaver und ähnlichen Kehricht einfach auf die Gassen zu werfen, doch war er damit auf taube Ohren gestoßen.
    »Was erwartet Ihr, mein Lieber? Kain hat die Städte erfunden. Denkt nur an Babylon. Da lässt sich nichts ändern«, hatte der Bischof gemeint und ihm anstelle eines Bescheids ein süßes Konfekt angeboten, von dem stets etwas in seiner Nähe zu finden war.
     
    Der Gedanke an Seine Eminenz, Adalbero von Rheinfelden, den Bischof von Worms, brachte Bandolf wieder auf sein gegenwärtiges Problem zurück. Sein Gesicht verfinsterte sich. Schlimm genug, dass Ulbert von Flonheim auf seinem
Anwesen gestorben war, doch musste sich der Mann auch noch ermorden lassen? Der Bischof hielt sich derzeit im Gefolge des jungen Königs in Lorsch auf. Das Reichskloster zu Lorsch war nur knapp einen Tagesritt von Worms entfernt. Es würde also nicht lange dauern, bis der unglückselige Vorfall auch Adalbero zu Ohren käme. Zweifellos würde sich der fette Bischof auf die günstige Gelegenheit stürzen, seinen unliebsamen Burggrafen loszuwerden. Bandolf biss sich auf die Unterlippe, und für einen Moment schien sich sein Magen umstülpen zu wollen. Wenn es ihm nicht gelänge, Ulberts Mörder zu finden und den Verleumdungen Adalberos zuvorzukommen, konnte er sich ohne weiteres alsbald auf dem Richtplatz wiederfinden.
    Wenigstens kenne ich den Namen des Toten, überlegte Bandolf, als er den Marktplatz überquerte. Doch viel mehr als das hatte Pater Egidius ihm nicht berichten können, als er im Haus des Burggrafen eintraf, um den Leichnam ins Beinhaus seiner Kirche schaffen zu lassen. Offenbar hatte der junge Ulbert von Flonheim mit seiner Gattin und einem kleinen Gefolge Quartier im Stift St. Andreas genommen.
    »Annalinde, sein Weib, besucht regelmäßig meine Messe in St. Magnus. Ich denke, es wird ihr recht sein, dass der Leichnam ihres Gatten dort aufgebahrt wird«, hatte der Pater gesagt, nachdem er mit leiser Stimme ein Gebet für Ulberts Seele gesprochen und das Gesicht des Toten wieder bedeckt hatte. »Ein Jammer, wenn ein so junger Mensch aus dem Leben scheiden muss. Doch wenigstens hinterlässt er einen Sohn.«
    Einen schmerzlichen Moment lang dachte Bandolf an das Kind, das Matthäa vor einigen Jahren verloren hatte, als sie die Treppe im Haus hinuntergestürzt war. Es war das einzige Mal geblieben, dass sie guter Hoffnung gewesen war.
    Bandolf seufzte. Dann riss er sich von seinen trüben Gedanken
los und wandte sich wieder seinem dringenderen Problem zu.

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