Das zerbrochene Siegel - Roman
würdet Ihr selbst mehr Schutz als Eure Magd bei Euch haben, wenn Ihr Garsende aufsucht.« Bandolf lächelte. »Und ich versichere Euch, selbst die magere Hildrun hätte diesen Wegelagerer verprügeln können. Ein dummer Schabernack, nichts weiter.«
Mit einer raschen Geste strich Matthäa über seinen Arm, bevor sie die Tafel verließ und nach Filiberta rief. Bandolf sah ihr nach. Zwar wusste er nicht, womit er sich den vormaligen Groll seiner Gattin zugezogen hatte, doch seit sie am Morgen seine Blessuren entdeckt hatte, schien sie ihm, was auch immer, vergeben zu haben. Der Burggraf hatte gelernt, dass es müßig war, die Launen seines Weibes ergründen zu wollen, daher nahm er ihren neu erwachten Frohsinn mit schlichter Erleichterung entgegen.
»Ein Wegelagerer? So dicht bei der Stadt?«, unterbrach Bruder Goswins zweifelnde Stimme seine Gedanken.
Mit einem Blick in Richtung Herdstelle, wo Matthäa sich am Kessel über dem Feuer zu schaffen machte, schüttelte Bandolf den Kopf. Bruder Goswin nickte weise und enthielt sich jeder weiteren Frage.
»Ich bin gekommen, um Euch zu berichten, dass die Nachforschungen des Kämmerers über Bruder Bartholomäus’ Verbleib nichts Neues ergeben haben. An keinem der beiden Orte, die er uns gegenüber behauptet hat, aufsuchen zu wollen, ist er aufgetaucht. Und auch nirgendwo sonst auf unseren Hufen in der näheren Umgebung.«
»Dann ist Euer Gehilfe entweder auf der Flucht und versucht, eine möglichst große Wegstrecke zwischen sich und
Worms zu bringen. Oder aber er ist tot«, konstatierte der Burggraf.
»Glaubt Ihr noch immer, er sei in die Machenschaften verstrickt, welche den Mord an Ulbert von Flonheim verursacht haben?«, wollte Bruder Goswin wissen.
Der Burggraf nickte. »Je mehr ich darüber nachdenke, umso überzeugter bin ich davon.«
»Ich begreife nicht, warum Bruder Bartholomäus sich mit seinem Kummer nicht an mich gewandt hat«, grübelte Bruder Goswin laut. »Wenn er doch wusste, dass das Dokument, das Ulbert ihm in Verwahrung gab, so gefährlich ist, warum hat er es keinem seiner Brüder anvertraut?«
»Ihr geht davon aus, dass Bruder Bartholomäus unschuldig ist. Doch wenn er das nicht ist, wird sein Verhalten verständlich, meint Ihr nicht?«
»Ihr kennt Bruder Bartholomäus nicht.« Der Domscholasticus lächelte. »In einem Stift lebt und arbeitet man auf engstem Raum zusammen, Burggraf. Geheimnisse gibt es nicht unter den Brüdern. Und Bartholomäus ist einfach nicht der Mensch, der Böses im Schilde führt.«
»Man muss nur schweigen, um seine Geheimnisse für sich zu behalten«, erwiderte Bandolf trocken. »Und wo Pfründe, Macht und Land locken …«
»Aber das wisst Ihr nicht mit Bestimmtheit.«
»Nein, und darum habe ich mich umgehört und herausgefunden, dass Bruder Bartholomäus die Stadt bei der Pfauenpforte verlassen hat. Ich habe auch bei der Ehrwürdigen Mutter von Mariamünster nachgefragt, ob er womöglich im Kloster haltgemacht hat, doch dort wurde er nicht gesehen. Die Äbtissin hat mir versprochen nachzuforschen, ob ihm einer der Hörigen des Klosters begegnet ist. Mehr kann ich derzeit nicht tun.« Bandolf seufzte. »Die traurige Wahrheit ist, Bruder, dass ich im Dunkeln herumstochere, seit ich Ulberts Leiche fand.«
Ein Lächeln huschte über Bruder Goswins schmales Gesicht. »Womöglich kann ich Euch wenigstens einen dünnen Kienspan reichen«, meinte er und kramte aus einem Beutel, der an der Kordel um seine Kutte hing, den Fetzen Pergament hervor.
»Vieles ist unleserlich. Ich fürchte, auch wenn ich mir das noch so oft anschaue, wird das Meiste davon unverständlich bleiben«, erklärte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf die verschmierte Tinte. »Aber ich wette mit Euch um mein Brevier, dass es sich um ein Testament handelt.«
»Ein Testament?«, rief Bandolf überrascht. Als er Eltrudis’ neugierigen Blick auffing, die am anderen Ende der Tafel mit einer Nadelarbeit beschäftigt schien, dämpfte er seine Stimme. »Ich dachte, es würde um Besitztum und Land gehen.«
»Aber das tut es auch«, sagte Bruder Goswin triumphierend. »Ein Mann nobilis est …«
»Ein Edelmann«, übersetzte Bandolf.
Goswin nickte. »… vermacht seinen gesamten Besitz zu gleichen Teilen dem Kloster Sankt Raffael und seinem Kind non matrimonio collocat …«
»Seinem unehelichen Kind also.«
Wieder nickte Goswin. »Das Dokument wurde ausgestellt und bezeugt im Jahre 1055 nach Fleischwerdung des Herrn. Zuerst glaubte ich, es müsse
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