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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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geschafft, m eine Elli. Ja w ohl, das hat sie. Nur m it Talent. Aber verzieh’n hat sie’s ihm nie.«
    » W ie lange haben Sie das Material schon hier ? «
    »Seit dem Prozess. Fast drei Jahre.«
    »All diese Menschen, die Ko m parsen, die m ü ssen doch ausgesagt haben, was da m als wirklich passiert ist.«
    »Ein paar ha m ’s wohl versucht. H at ihnen aber keiner geglaubt – es kannte ja keiner den Fil m . Und außerdem war da der junge Kerl, der v e rbrannt ist. Masken hat ihn wohl als Zeugen angeschl e ppt, ganz ohne Brandwunden.«
    »Jakob Tiberius ? «
    » W as weiß ich, wie der heißt. Muss wohl vor Gericht ausgesagt h aben, aber später hat ihn dann keiner m ehr geseh’n.«
    Nur ich, dachte sie ver w irrt. Kein Wunder, dass Elohim so verwundert war.
    Sie bedankte sich und u m a r m t e ihn zum Abschied, was ihm sichtli c h ge f i el. » P assen Sie a uf sich au f «, sagte si e .
    »Und bringen Sie das Material woanders hin. Vorsorglich.«
    Er nickte. »Keine Sorge. War ein Kind, ganz bestimmt.« Sie wollte gehen, aber er hielt sie zurück und drückte ihr die Taschenlampe in die Hand.
    »Hier, nehm’n Se die mit … ich hab noch eine. Es gibt kein Lic h t hier aufm Rum m elp l atz, erst wieder vorne an der Straße. Außerdem … is ’ne gute W affe. Hab selbst schon einen da m it ver m öbelt, der nicht zahlen wollte.«
    Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln und wog die schwere Stabla m pe abschätze n d in der Hand, fühlte sich deswegen aber nicht si cherer. Trotzdem behielt sie das Ding, dankte ihm erneut und m achte sich auf den W eg.
    Falls je m and ihr f ol g t e , be m erkte sie ihn nic h t. Eilig überquerte sie den P l atz, und als sie ins Licht der ersten Straße n l aterne trat, at m ete sie auf. Hier gab es a u ch wieder  vereinzelt Menschen, fast a lle ka m en ihr entgegen und hielten den Blick auf den Boden gerichtet.
    Sie erreichte die Haltestelle, als sich gerade eine Bahn in  Bewegung setzte. Sie sprang in den letzten W aggon.
    Erst glau b t e sie, sie wäre allein im W agen, aber dann entdec k te si e ei n en weiteren Fa h rgast in einer d er v o rderen Reihen. Er s aß m it dem Rücken zu ihr, sie sah n ur sei n en Hut und Kragen. Vorsichtshalber nahm sie in un m ittel b ar e r Nähe der Tür Platz u n d legte d i e Stabla m pe über ihre K nie, bereit sie als Knüppel einzusetzen, wenn es sein m usste.
    Der Mann nahm keine Notiz von ihr. Bei jeder Kurve und jedem Ru m peln der Räder auf den Schienen schwankte er hin und her, als wäre er eine P uppe, die je m and dort vergessen hatte. Erst nach einer W eile wurde ihr klar, dass sie selbst im g l eichen Rhyth m us schwankte.
    Nie m and stieg zu. E rst ei n i ge Halte s t ellen weiter Richtung Innenstadt erhob sich der Mann, ohne sich u m zudrehen. Chiara starrte ihn an, in der Hoffnung, doch noch einen kurzen Blick auf seine Züge zu erhaschen. Das Stahlkreischen der Bre m sen ertönte, die Bahn hielt, und der Mann verließ den Wagen. Eine Frau stieg ein, beäugte Chiara m i sstra u i sch – v i elleicht überlegte sie, woher sie ihr Gesicht kannte? – und ließ sich einige Reihen entfernt nieder.
    An der näc h sten Station musste Chiara u m steigen, dann noch ein m al a m Bahnhof Zoo. Von hier aus nahm sie eine Bahn hinaus zur Krummen Lanke. Es war ein ganz schönes Stück, das sie von der letzten Haltestelle bis zur Villa lau f en m usste. I mmer wieder dre h te si e sich u m , wenn sie gl aubte, Sc h ritte zu hören; aber natürlich war da nie m and. Es war m ittlerweile später Abend, und hier draußen, zwischen den herrsc h aftlichen Anwesen, gab es
    außer ihr keine Fußgänger. Hin und wieder blickte sie hinauf ins verschlungene Geäst der Bau m kronen. Die gewundenen Äste erinnerten sie an den Medusenkopfsch m uck, den Jula getragen hatte. Es war, als würde ihre S chwester sich riesenhaft zu ihr herabbeugen.
    Nicht m ehr weit, dann war sie zu H ause.
    Eine Katze jagte vor ihr über die Straße. In einem nahen Haus schlug eine Tür, dann ein Fenster. Aus dem schwarzen Nachthimmel ertö n t e ein leises W u mmern wie der viel zu rasche Herzschlag eines riesigen Lebewesens. E i n Luf t sch i ff? Manchmal flogen sie nach dem Start in Te m pelhof i n diese Richtung.
    Noch eine Ecke, dann war sie da. Die Villa lag nach etwa hundert Metern auf der rechten Seite.
    Schon von weitem sah Chiara, dass je m and auf sie wartete.
     
     
    *
     
     
    Eine Gestalt kauerte im Schein einer Straßenlaterne auf dem Gehweg, den Kopf

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