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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ein m al zum Abendessen gewes e n war. Sie hatte das alles als Halluzinationen abgetan.
    Der Mann lächelte, fast als wollte er sie um Verzeihu n g bitten. »Ich weiß, was Sie denken. Ich weiß noch gut, was ich gedacht habe, als ich das zum ersten Mal hörte.«
    »Nein«, sagte sie m it schwacher Stimme. »Erzählen Sie weiter.«
    Er legte die Stirn in Falten, dann nickte er langsa m . » I m Nachhinein ist es s chwi e rig, die Reihenfolge der Ereignisse zu rekonstruieren. Ich war, wie gesagt, Polizist
    – Kom m issar in Berlin - Mitte, wissen Sie? –, und ich habe viel Zeit da m it verbracht, n i chts anderes zu tun, als aus
    irgendwelchen Vorfällen Zus a m m enhänge und Abläufe zu rekonstruieren. Aber das hier … Diese Leute m achen es einem nicht einfach, das können Sie m i r glauben.«
    »Masken ? «
    »Natürlich er, aber Ihre Schwester war noch sehr vi e l geschickter darin. Ich bin vor über einem Jahr in ihr Haus eingebrochen, hatte ich das schon erwähnt? Nein? Nun, ich war dort. Ich habe nach Spuren gesucht, aber keine gefunden.«
    Kopfschüttelnd m achte er eine P ause. »Egal, darauf kom m t es nicht an. Ich habe von den Doppelgängern gesprochen . «
    Gesichter tanzten vor ihren Augen, während er sprach. Rote W änd e , rotes L i cht. Eine nackte junge Frau, die auf Masken saß.
    Es war absurd.
    »Vor anderthalbtausend Jahren oder noch früher gab es in verschiedenen Kulturen ein Ritual, das überall nach einem ähnlichen Muster ablief. Hier in Europa kam es vor allem bei den Ger m an e n vor, im Norden auch bei den W i kingern. Ein Mann, der zum T o de verurteilt ist, nim m t sich auf eine spezielle Art und Weise das Leben und garantie r t da m it seine W i eder ge burt: Er schneidet sich den Bauch auf, zieht ein Stück seines Dar m s heraus, nagelt es an einen Holzpflock und geht dann so lange im Kreis um den Pflock heru m , bis der Darm um das Holz gewickelt ist oder er vor Entkräftung zusam m enb r icht. W e m e s gelingt, die Sch m erzen bis zu einem gewissen Punkt zu ertragen, dem ist die W i edergeburt in einem neuen Körper sicher. Zugleich wird er durch den Tod seines alten Körpers von seiner Sch u ld be f reit. Sein neues Leben kann er m i t völli g er Reinheit sei n es Herzens b eginnen, be freit von allem Ballast der Vergangenheit.« Er beobachtete Chiara
    ganz genau, während seine Finger schabende K reise auf seinem Oberkörper zogen. »Sie können sich schon denken, worauf das hinausläuft, oder ? «
    »Sagen Sie’s m i r.«
    » W o m it wir es in unserem Fall zu tun haben – das ist eine zie m lich wilde Mischung aus diesem Ritual, den Lehren Steiners und Nietzsches und diesem fernöstlichen Hokuspokus, den Jula m it Hilfe des Avatars veranstaltet hat. Die sieben Orte m üssen in einer bestim m t en Reihenfolge abgeschritten werden. Bei der ersten Station muss zudem der Darm des … h m , Opfers? Adepten? … nun, auf j e den Fall ein Stück seines Dar m s befestigt werden. Natürlich nicht m ehr so, dass er dabei zu Tode kom m t. Ein kleines Stück genügt – und ich habe keine Ahnung, ob das nur ein sy m bolisches Detail ist, das Jula und Masken erfunden haben, oder ob es in den Lehren des Brah m anenjungen so festgelegt ist. Letzteres, vermute ich, sonst hätte Masken nicht einen solchen Aufwand deswegen betrieben. Jedenfalls wird das Darmstück am ersten der s i eben Orte bef e stigt, dann passiert m an die sechs an d e r en Plätze, d i e v e r m utli c h in e i ner Kreis- o d er Spiralform angeordnet sind, dem ursprünglichen Ablauf des Rituals entsprechend. Und a m siebten Ort …«
    »Erwartet einen der eigene Doppelgänger«, brachte  Chiara den Satz für ihn zu Ende.
    »Ja.«
    »Genau das habe ich … geträu m t . Oder erlebt.« Sie stieß ein gezwu n genes Lac h en aus. »Ich verliere m einen Verstand, nicht wahr ? «
    » W enn es so einfach wäre.« Jetzt sah er beinahe m itleidig a u s. »Jula war, ganz im Sinne der T h eosophen, der Meinung, dass dieser Doppelgänger eine reinere, bessere Ausgabe des Originals ist. Je m and, der seine Ziele
    deutlicher vor sich sieht und entsprechend handelt. D e r perfekte Egoist.«
    »Nietzsches Über m ensch.«
    » W o m öglich. Jedenfalls hätte er seine Freude an dem  Konzept gehabt, nach alle m , was ich gelesen habe.«
    »Und Sie denken … warten Sie, ich m uss das erst m al klar beko mm en … Sie denken, ich wurde irgendwie … verdoppelt?«
    »In Er m angelung eines besseren W ortes – ja.«
    Sie war drauf und

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